Arbeiter am Mythos: Blumenbergs Schriften zur Literatur 1945-1958
Der Band mit Schriften Hans Blumenbergs zur Literatur aus den Jahren 1945 bis 1958 ist eine manchmal überraschende und oft wichtige Ergänzung seines Gesamtwerks, das sich in mancher Hinsicht noch immer erst erschließt. Überraschend für jene, die Blumenberg nur als Verfasser breiter Abhandlungen kennen, wobei allerdings schon Früheres u.a. aus dem Nachlaß – samt Zettelkastenexzerpten – eine andere Seite zeigte, wichtig dagegen in Details, die aber mitunter weitreichend sind.
Für sich ist der Band, das sei dabei nicht unklar gelassen, auch sehr spannend, brillante Formulierungen, sogar in jenen Texten, die eher Annotationen und unfertig sind – aber eben in jenen Details und für den, der mit Blumenbergs Denken vertraut ist, insbesondere. So wäre an sich weniger von Interesse, daß der junge Blumenberg mit der Psychoanalyse nichts anzufangen weiß, von der er aber zu wissen vermeint, daß sie 1. eine „Modewelle” ist, die 2. „schon verebbt[en]”, aber das Hehre, das so nicht methodisch zu kompromittieren sei, ist motivisch schon, was an anderen Existentialisten Adorno den Jargon der Eigentlichkeit heißen wird. Wobei Blumenberg nur wie einer klingt: „Heute ist der Existenzialismus tot”, so Blumenberg später, der damit sozusagen gut leben kann.
In der Tat schreibt Blumenberg eher von Welt- und Gottlosigkeit, von der Freiheit-von und -zu bei Sartre; es ist dies doch der Gestus der großen Erzählung vom Nicht-Erzählbaren, etwa zwischen Faust bzw. nicht Faust, sondern dem „Faustische(n)” und allem von Kafka sich entwickelnd, und zwar dann doch in jener typischen Spannung aus Pathos und „Ironie” mit ihrem „tödlichen Zug”, die den Vielschreiber und doch meisterlichen Stilisten prägen wird, hier lesenswert, aber vor allem auch dies antizipierend.
Und vor allem fürs Psychogramm ist das Detail interessant, wie Blumenberg sozusagen konzediert, daß für Kafka die „Tradition seiner jüdischen Herkunft” wohl prägend gewesen sein mag, aber alsbald nicht genug betonen kann, daß es „unzureichend” wäre, „Kafkas Werk […] als Niederschlag spezifisch jüdischer Erfahrungen zu interpretieren” – als wäre erstens nicht die Art, wie sich etwas sedimentiert, entscheidend, sondern (bloß) das, was sich niedergeschlagen habe, und als entwertete zweitens die Zurechnung Kafkas zum Jüdischen dessen Werk, das nicht zugleich … existentiell … sein könne … ein fast tragischer Zug Blumenbergs, dessen Verhältnis zum Judentum immer prekär und für ihn wohl eine Last war.
Ansonsten signifikant: die Breite der Interessen. Von Marcel Proust bis Fallada, vom klassischen Kanon zu Exotischem, oft zu Jünger, dem er aber die „Probe einer realen, ins Politische eingreifenden Verbindlichkeit […] nicht als bestanden bescheinigt”, … – was qua Zettelkasten zum referentiellen Universum des Arbeiters am Mythos wird.
Alles in allem ein faszinierender Band, besonders im Werkzusammenhang.
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