Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Soundmaster mit Programm

Hamburg

Es gibt wenige Lyrikerinnen und Lyriker deutscher Sprache, denen es gelingt, freie Verse so rhythmisch aufzuladen, dass ihnen die Eleganz antiker Distichen nicht nur innewohnt, sondern aus ihnen heraus die Sprache zum Strahlen bringt. Hellmuth Opitz gehört eindeutig zu ihnen. Der Titel seines soeben erschienenen Bandes gibt schon einen kleinen Hinweis auf die Zeitlosigkeit und - ja, man darf es vorbehaltlos sagen: Schönheit der poetischen Sprache, die die Leserschaft erwartet. Das bedeutet freilich nicht, dass seinen Versen womöglich etwas Gesetztes, gar Gestelztes, ein Duktus vergangener Zeiten innewohnen würde - ganz im Gegenteil. Opitz ist seit vielen Jahren im Brotberuf ein versierter Werbefachmann, und als Creative Director einer Bielefelder Agentur sind ihm auch die Slangausdrücke der vielfältigen Gegenwartsszenen, die marktkonformen Worthülsen seiner Branche, die mitunter die Grenzen zur sprachlichen Brache deutlich überschreiten, nicht nur geläufig, sondern wie selbstverständlich Teil auch seines lyrischen Repertoires: seine Gedichte erreichen sie freilich nur in ironischer oder melancholischer Brechung und wirken dadurch wie nachdenkliche Findlinge im Sprachfluss:

"Und du so: Das ist ja voll Porno, dieses Cremeweiß / und ich weiß nicht: Meinst du die Schneeglöckchen / im Stiftständer draußen mit den gespitzten Kreideköpfen, / bereit, die Bestellungen fürs Frühjahr zu notieren? / Oder die Märzenbecher, die heimlich unter Hecken / ums Glück zocken und am Ende doch nur wieder / einen Schneepasch würfeln? Aber nein, aber nein: / Du meinst den Frühblüher von BMW, das Cremeweiß / dieses SUV, an dem sich deine Augen nicht sattsehen / können, das fette Sahneteil, das da thront, einsam / auf dem Kuchenblech von Parkdeck vier."

Hier blitzen sie kurz auf in ihrer urbanen Tragikomik, die großen, wohlhabend gewordenen Jungs mit dem latenten Potenzproblem und den wehmütigen Assoziationen an die Farbe ihres nun seltener fließenden Ejakulats. Und gleichzeitig sollte die bajuwarische Autoschmiede den Dichter, der die Reaktionen des Zielpublikums so augenzwinkernd aufschreibt, eigentlich sofort unter Exklusivvertrag nehmen (obwohl wir als Leserschaft freilich froh sind, dass sie es nicht tut): was diese Sprache schafft, schafft kein Hochglanzprospekt und kein perfekt ausgeleuchteter Youtube-Appetit-Clip.

Diese merkwürdige Ambivalenz ist es denn auch, die die Leserschaft bei ganz anderen Themenkomplexen begleitet, so etwa bei der Reprise der aus dem letzten Band "Die Dunkelheit knistert wie Kandis" von 2011 bekannt gewordenen "Gegenstandsgedichte" oder auch dem "Skulpturenpark der Demut", einem Zyklus, in welchem Opitz prototypische Bettlergestalten portraitiert. Eine Zuschreibung für einen Bettel-Clan wie "humanes Streugut", die sich ohne Probleme um die Kür zum Unwort des Jahres bemühen könnte, verwandeln sich im Kontext der Opitzschen Gedichte vom zynischen Zitat in eine detailreiche und die eigene Empathiefähigkeit befragende Angelegenheit von obendrein hoher ästhetischer Relevanz:

"Wirf eine Münze, so wird meine Seele gesund. / Wie hält sie das so lange durch, den ganzen Tag / in dieser Haltung? Ich hab gehört, // jeden morgen nähmen sie ein Schlückchen / Liquid Ecstasy, dann spürten sie keine Schmerzen."

Oder im Falle der "Madame Rowenta" aus den erwähnten Gegenstandsgedichten, wo sich die aufgegriffenen Stereotype des politischen Stammtischdiskurses in (ausnahmsweise einmal endgereimten) lyrischen Humor verwandeln:

"Wie kannst du nur den Kleiderschrank so überfremden, / faucht sie, die nehmen uns die Arbeitsplätze weg. / Wen meint sie bloß? Wer ist für die der letzte Dreck? / Na, ist doch klar: die bügelfreien Hemden!"

All diese Beispiele zeigen freilich nur den halben Hellmuth Opitz; es sind diejenigen Gedichte und Zyklen, die bei seinen Lesungen das Publikum anfüttern sollen für die wirklich bewegenden Texte, die weniger spektakuläre Themen wie Kindheit und Jugend, Liebesbeziehungen, urbane Einsamkeit und Tod aufgreifen; weniger spektakulär insofern, als das diese natürlich auch immer wieder Gegenstand anderer Lyrikerinnen und Lyriker der Gegenwart sind. Und doch sind diese Sujets ja auf ihre Weise auch Klassiker der Publikumsrezeption und des Sich-Einlassens auf Texte; an ihnen beweist sich durch ihre Vergleichbarkeit letztlich auch Erfolg oder Scheitern von lyrischer Sprache schlechthin.

Wer Opitz' poetischen Werdegang über die letzten Jahrzehnte hinweg beobachtet hat, kennt seinen inzwischen unverwechselbaren Sound, der Schnoddrigkeit, Wortwitz und abgründigste Melancholie in eins gießen kann, der immer wieder mit gleichermaßen treffenden wie überraschenden Sprachbildern aufzuwarten versteht, wenn er etwa in Bezug auf einen mintfarbenen Fiat 500 beim Lückenspringen im Stau von einem "Zahnpflegekaugummi zwischen den blendend weißen Reihen der Trucks" schreibt oder mit Synästhesien spielt, wie beim Anblick eines Hawaiishirts: "Kann man dein Hemd auch leiser stellen, / fragt mich mein Kopfschmerz". Seine Assoziationsangebote funktionieren auch auf fremdsprachlicher Ebene, wenn er für die endlose Warterei am Flugplatz ein "ready for boring" notiert, oder  sogar über einen ganz weiten Sprachbogen vom Titel bis zur letzten Zeile in einem einfühlsamen Text um Tod und Abschied:

"Quittenlicht, Septembergelee // Das wird ein Apfeljahr, sagt sie, / während sie pflückt und fühlt / und dann: neu ertastete Knoten. / Zwei Wochen vor Erntedank, / sagt sie bitter, Ernte Dank. // Wenn sie wütend ist, / nehmen ihre Augen die Farbe / von Miesmuschelschalen an / fast violett so schwarz / der verschlossene Blick. // Am Tag, als das Ergebnis kommt, / geht sie in eine Karaokebar, / sich mit billigen Hits betrinken. / Später muss man sie vom / Boden aufheben, hinaustragen. // Das letzte Glas Wein habe / zu ihr gesprochen, sagt sie. / Vertrau mir, habe es gesummt, / vertrau mir, du kannst tanzen. / Das Lied? Irgendwas mit // Quit the lights."

Wie gesagt, der Sound ist bekannt, und er ist zweifelsfrei von hoher eigenständiger Eleganz. Fragen kann man sich allenfalls, wie die spezifische Entwicklung des Lyrikers Hellmuth Opitz künftig noch verlaufen kann; kommt die Jonglage seiner metaphorischen Extreme nicht irgendwann an einen Punkt, wo nichts mehr geht? Kann ein lakonisches "ob Fa oder Antifa - alles nur Deos zur Überdeckung übler Gerüche" noch getoppt werden? Wo hört das Gedicht auf, wo beginnt die Comedy? Ist diese Frage angesichts der zahllosen gattungsmäßigen Verschmelzungen, die uns, nicht nur literarisch, in der Alltagskultur ständig begegnen, überhaupt relevant? Wie auch immer: radikale Brüche zu Opitz' vorhergehenden Büchern scheinen sich bislang nirgends anzubahnen. In irgendeiner Form "altersmilde" ist seine lyrische Stimme jedenfalls nicht geworden. Und seiner Leserschaft bleibt vielleicht nur die gleiche Konsequenz der gebannten Faszination wie dem lyrischen Ich, das vom Fenster aus regelmäßig einen Mann beim Abschließritual seines Fahrzeugs beobachtet:

"Bemerkenswerter nur: Der Zwang, ihm jeden Morgen / dabei zuzusehen, wie er sein Programm durchläuft".

 

 

Hellmuth Opitz
In diesen leuchtenden Bernsteinmomenten
Pendragon
2017 · 128 Seiten · 15,00 Euro
ISBN:
978-3-86532-587-7

Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge