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Kritik

Stalins Katze

Hamburg

Herbert Feuerstein ist manchen vielleicht nur von Schmidteinander bekannt, aber das täte ihm Unrecht, wie schon der Titel seiner Autobiographie verrät: neun Leben, wie eine Katze. Diese Leben listet dann schon der Umschlag auf: 1. aufzuwachsen, „aber nur 1,65” werden es, 2. Musikstudium, 3. „Kaffeehausliterat”, 4. in New York Hobby-Tischler und Stadtneurotiker, 5. Verlagsleiter, 6. MAD-Macher, 7. diverse Doppelleben zwischen diversen Medien, 8. Musik, 9. ... „es geht.”

Feuerstein erzählt sie weitgehend chronologisch, gekonnt aus den jeweiligen Perspektiven mit ironischen Kommentar des Ich-Erzählers, der Feuerstein so gut kennt, daß man fast geneigt wäre, sie gegen alle Germanistikeinführungsproseminare für identisch zu halten. Er kennt sich, aber schont sich nicht, wie auch nicht den Vater, in der NSDAP, wo er als „Stellvertreter des Kreisleiters” „»nur ein Ehrenamt«” bekleidete, „wie er immer wieder betonte, auch noch zwei Jahrzehnte später, als es lang schon keine Ehre mehr war.”

Während sein Vater so etwas wie Karriere macht, wachsen der Sohn wie sein jüngerer Bruder auf, mit metaphorischen und realen Hypotheken, bis zum Kriegsende, Weltuntergang und -aufgang, da weiß Feuerstein schon etwas von der Enge und Borniertheit rundum, bis ins Kleinbürgertum, das ihm noch in Gestalt der Lehrer dennoch nicht zusetzt. Er selbst „Mann von Welt” ... wie Johannes Heesters, mit „eimerweise Charme”. Und Freiheit die Kunst, die Liebe zu ihr und zur Hauptdarstellerin in seiner Theaterproduktion, wobei die Arbeit am Text die spätere Mischung aus Respektlosigkeit und Instinkt prägt, wenn man es milde beurteilen will:

„Gnadenlos strich ich damals aus den Prachtbänden mit roter Tinte alles Überflüssige raus, und das ist bei Goethe und Schiller eine ganze Menge, bei Grillparzer sogar alles.”

Diese spöttische Art schätzt sein Lehrer allerdings weniger, als er in Feuersteins „Lesefrüchteheft” von sich liest, daß er seine Rolle im Stück „dilettantisch[e]” gegeben habe. Tja, Humor... Als Freund erweist sich dieser Lehrer dennoch, vielleicht ist das mit der Distanzlosigkeit ja überhaupt komplizierter.

Feuerstein bleibt „besserwisserisch und boshaft”, „die Pointe wichtiger [...] als die Objektivität”, was zwei Ohrenfeigen zeitigt, vor allem aber das Ende des Musikstudiums. Von da zum Café Hawelka, das in Wien weltberühmt ist, ist es ein logischer Schritt. Dort wird die „Unfreundschaft” gepflegt, dort lernt Feuerstein Thomas Bernhard kennen und bewundern, aber nicht mögen. Auf die Tannhäuser-Ouvertüre wird bei nächtlichen Spaziergängen mit Peter Ronnefeld „Der Ka-ra-jan hat in die Hos-sen ge-schissen” gesungen, sowas wie ein Leitthema der österreichischen Kultur, wo man diesen liebte und verachtete, bis zum bei Feuerstein sozusagen zu Unrecht übergangenen Fritz Herrmann, der Karajan und der Hochkultur eine Analfixierung andichtete.

In all das mischt sich immer wieder der Ernst, schon im Ende des Musikstudiums, erst recht aber, wo es dann um die Tode von Freunden geht, samt dem Gefühl, sie gehen wohl voraus: „Jetzt stehe ich selber kurz vor diesem Alter und habe Angst.” In der Tat zeitigt dieses Drängende, Enge, Ernste das Anarchoide Feuersteins. Es trifft nicht immer die Richtigen, wie er weiß, manchmal rechtzeitig weiß, doch „der Stachel der Spottlust ist mit einem Widerhaken versehen.” Die Beschreibung eines der Verletzten, dessen „ironisch-wehmütiges Lächeln [...] eigentlich gar kein ironisch-wehmütiges Lächeln war, sondern sein normaler Gesichtsausdruck”, Feuerstein so beschreibt, daß es ein – zu spät formuliertes – Bedauerns ist, verbindet beides.

So geht Station um Station, chronologisch, wie schon gesagt wurde, New York, „das MAD-Paradies”, ... – gelernt wird übers Leben wie übers Layout, über Freunde („»You’re always welcome here«, sagte er und schob mich aus der Tür.”), Distanzen (... endlich!), alles. Sogar über und durch Schmidteinander: „Feuerstein dichtet und singt, Schmidt bewundert ihn grenzenlos, weigert sich aber, dies zu zeigen.” 50 Folgen inklusive der Perle Tanzperformance „Stalins Katze  (einst gesehen, leider ist das Video offenbar nicht online) und in der letzten Sendung einem Auftritt Joe Cockers später endet auch dieses Feuerstein-Leben, und zwar zugunsten von Reisen und Intermedialem, bis 2006 das „Nachleben” begonnen habe.

Und noch immer sind da – nein, das muß man selbst lesen, der Sog des Buchs macht es leicht, das zwar an Feuerstein-Interessierte sich wendet, aber mehr bietet, eine Melange aus Witz und Wehmut, aus Ratlosigkeit und Dennoch, aus Orgelmusik und Atheismus, ... – die überrascht und neugierig sogar auf mehr machte, sagte der Verfasser nicht: „Ich bin jetzt fertig.” Vielleicht sogar trotzdem, man weiß es ja nie.

Herbert Feuerstein
Die neun Leben des Herrn F.
Ullstein
2014 · 384 Seiten · 19,99 Euro
ISBN:
13 9783550080876

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