Berlin – Paris
Was Querido im Verlagswesen, war die Librairie au Pont de lʼEurope unter den Buchhandlungen: Eine 1933 ins Leben gerufene Anlaufstelle für deutsche Autorinnen und Autoren, deren Bücher in Nazi-Deutschland nicht mehr erscheinen durften; sowie darüber hinaus des fortgesetzten deutsch-französischen Kulturaustausches, wie er bis dato auch in Berlin gang und gäbe gewesen war und nunmehr zum Erliegen gebracht worden war. Beide Institutionen des deutschen Exils, die eine in Amsterdam, die andere in Paris ansässig, mussten 1940 ihre Pforten schließen. Während Querido nach 1945 eine vorübergehende Renaissance erlebte – das letzte Buch, eine Anthologie zum Andenken an den kurz zuvor verstorbenen Klaus Mann, erschien 1950 –, blieb von der ersten Pariser Exilbuchhandlung lediglich ein illustres Gästebuch erhalten. Dieses Gästebuch ist in der von Inge Thöns und Herbert Blank vorgelegten Geschichte der Buchhandlung und ihres Gründers Ferdinand Ostertag nicht nur vollständig abgedruckt; es stellte auch den Ausgangspunkt für die zwölfjährige Recherche zu diesem Buch dar. Wobei das Auffinden des Gästebuches ein Zufallstreffer war; das Autorenduo, beide Antiquare mit Spezialgebiet Geistesgeschichte, entdeckten es auf einer Fachmesse in Stuttgart. Thöns und Blank selbst nennen ihre im Wallstein Verlag erschienene Arbeit allzu bescheiden eine Geschichte der Buchhandlung „im Spiegel des Gästebuches“. Das allerdings greift ein gutes Stück zu kurz.
Das Buch setzt ein mit einem Lebensabriss des Buchhändlers Ferdinand Ostertag, geboren 1893 in Glogau, dem heutigen polnischen Głogów. Eine Internetrecherche zu Ostertag erweist sich als nicht sonderlich ergiebig. Der Vater war ebenfalls Buchhändler, die Mutter entstammte einer jüdischen Familie. Ostertag selbst engagierte sich während und kurz nach dem Ersten Weltkrieg in der zionistischen Bewegung, 1918 übernahm er vorübergehend die Leitung der „Blau-Weiß-Blätter“, einer Jugendzeitschrift, die der jüdischen Wanderbewegung entsprungen war und die Ansiedlung in Palästina zwecks Errichtung einer neuen, von der Arbeiterschaft getragenen Gesellschaftsordnung propagierte.
In den 1920er Jahren führte Ostertag eine Buchhandlung mit angeschlossenem Verlag in Berlin. Einige Druckgraphiken aus dieser Zeit befinden sich heute im Bestand deutscher Bibliotheken. Ostertag spezialisierte sich auf jüdische Autoren und zionistische Schriften. Ob er bereits in dieser Zeit einige der Autorinnen und Autoren kennenlernte, die später in seiner Pariser Buchhandlung zum Stammpublikum zählten, ist nicht überliefert. Bekannt ist hingegen, dass die Inflationsjahre nicht spurlos an Ostertags Geschäften vorbeigingen; 1929 war er zahlungsunfähig. Wann genau er Berlin verlassen hat, lässt sich nicht mehr exakt rekonstruieren.
Über nennenswerte Verbindungen nach Frankreich verfügte Ostertag bis dato offenbar nicht. Auch im Netzwerk der verschiedenen deutsch-französischen Initiativen der 1920er Jahre, etwa der „Deutsch-Französischen Rundschau“ von Otto Grautoff, hat er keine sichtbare Rolle gespielt. Mit der namhaften frankophilen deutschen Literatur- und Kulturszene, von Klaus und Heinrich Mann über Ernst Toller, Joseph Roth und Alfred Döblin bis hin zu Carl Sternheim, Harry Graf Kessler und Lion Feuchtwanger, kam er erst in Kontakt, als jene in seinem Pariser Buchladen wieder eine, wie Thöns und Blank schreiben, „halbwegs vertraute Berliner Atmosphäre vorfinden“.
Mitte August 1931 dürfte Ostertag in Paris angekommen sein. Bereits kurz darauf, so lässt es sich einem Briefwechsel mit dem Frankfurter Soziologen Gottfried Salomon entnehmen, hat er mit der Einrichtung seiner Pariser Buchhandlung begonnen. Der Laden habe zwei Schaufenster und er, Ostertag, plane neben dem Vertrieb deutscher Bücher in Frankreich auch die Vermittlung französischer Literatur nach Deutschland. Zunächst handelte es sich bei dem Unterfangen noch um eine deutsche Abteilung innerhalb eines französischen Buchladens; als dieser schließen musste, machte sich Ostertag mit seinem eigenen Geschäft selbständig. Finanziell unterstützt wurde er dabei von dem französischen Bankier Jacques Neville und dem Berlin Buchhändler Otto Wittenborn. Die drei wurden zu den tragenden Säulen des Projekts. Am 15. März 1933 war es dann soweit: Die Gründung von Librairie au Pont de lʼEurope als einem „Centre d’information artistique et littéraire franco-allemand“ wurde ins Pariser Handelsregister eingetragen.
Als einer der ersten Prominenten trug sich am 5. Mai 1933 André Gide in das Gästebuch ein. Das war sicher kein Zufall, pflegte Gide doch seit Langem enge Beziehungen nach Deutschland, sein Besuch in München, unter anderem bei Thomas Mann, ist sowohl in seinem als auch in Manns Tagebuch festgehalten. Darüber hinaus war Gide eng mit der „Nouvelle Revue Française“ (NRF) verbunden, einer Zeitschrift, die er selbst 1909 – zusammen unter anderem mit Jean Schlumberger – aus der Taufe gehoben hatte. Die NRF spielte beim französisch-deutschen Literaturaustausch der 1920er und frühen 1930er Jahre keine unwichtige Rolle und wurde selbstverständlich auch in Ostertags Buchhandlung angeboten.
Rasch wurde Au Pont de l’Europe zu einem Refugium der wachsenden deutschen Exilgemeinde in Paris. Binnen kurzer Zeit verewigten sich im Gästebuch nicht nur namhafte Autorinnen und Autoren wie Annette Kolbe, Franz Werfel oder Thomas Mann, sondern auch Albert Einstein und Marlene Dietrich. Und auch unter germanophilen Franzosen schien der Laden eine beliebte Adresse zu sein, wie Einträge von Jean Schlumberger oder Paul Valéry belegen. Ostertag selbst hielt sich bei alledem diskret im Hintergrund. Seine Aufgabe war es, mit Au Pont de l’Europe die Plattform für den deutsch-französische Austausch – beispielsweise zur zukünftigen Gestaltung Europas – geschaffen zu haben. Das entspricht der Art und Weise, wie er auch in Berlin sein Metiers verstanden und betrieben hatte; aus der zweiten Reihe heraus und die eigentliche Bühne anderen überlassend. Zugleich jedoch nutzte er die Möglichkeiten, die sich ihm boten, sein Netzwerk zu erweitern, etwa als er bei Klaus Mann die Adresse von dessen Onkel Heinrich erfragte, und diesen umgehend kontaktiert, um ihn auf das Angebot seiner Buchhandlung aufmerksam zu machen.
Auch wirtschaftlich schien das Projekt aufzugehen. Trotz der zweimaligen Abwertung des Franc 1937 und 1938 war die Buchhandlung finanziell solide aufgestellt. Zudem hatte sich Ostertag in einem geschickten Schachzug die französischen Alleinvertretungsrechte der Bücher der beiden großen Exilverlage für deutsche Literatur, Querido und Allert de Lange, gesichert. Wer sich in Frankreich mit (relevanter) zeitgenössischer deutscher Literatur befassen wollte, kam an einem Besuch von Au Pont de l’Europe nicht vorbei.
Der deutsche Einmarsch in Paris besiegelte das Ende von Au Pont de l’Europe und bedeutete für Ostertag – wie für unzählige andere auch – die Fortsetzung seiner Emigrations-Odyssee, die knapp zehn Jahre zuvor mit seiner Ankunft in Paris begonnen hatte. Nach einer Phase der französischen Internierung erreichte er am 10. November 1941 New York. Von dieser letzten (und längsten) Station seines Lebens, er verstarb 1963, ist kaum noch etwas überliefert. Als letztes schriftliches Dokument findet sich sein Name 1960 unter einem Beitrag in der Zeitschrift „Harper’s Bazaar“.
Inge Thöns und Herbert Blank haben mit diesem lesens- und blätternswerten Band deutlich mehr vorgelegt, als „nur“ eine Buchhandlungsgeschichte „im Spiegel des Gästebuches“. Ihr Buch ist zugleich eine Geschichte des deutsch-französischen Literatur- und Kulturaustauschs der 1920er Jahre, der auch nach 1933 nicht abbrach, auch wenn das Zentrum nun einseitig nach Paris verlegt war. Dort bot Ferdinand Ostertag mit Au Pont de l’Europe eine Bühne, die von den Beteiligten offenbar dankbar angenommen wurde. Dass sich der Wallstein Verlag dazu entschlossen hat, auch das Gästebuch von Au Pont de l’Europe als Faksimile mitabzudrucken, rundet den Band ab. Ob es darüber hinaus und in Zeiten von Wikipedia tatsächlich noch die jeweils einseitigen biographischen Skizzen der im Gästebuch verewigten Personen bedurft hätte, sei dahingestellt. Auch hätten sich an der einen oder der anderen Stelle Kürzungen angeboten, etwa bei den sehr detaillierten Darstellungen der Akteure neben und hinter Ostertag. Dem Lesefluss hätte hier etwas weniger Liebe zum Detail gut getan. Das freilich ändert nichts daran, dass „Au Pont de l’Europe. Die erste Exilbuchhandlung in Paris“ ein erhellendes Buch ist, das eine bislang nicht gewürdigte Nische der deutschen Exilgeschichte der 1930er Jahre eindrucksvoll ausleuchtet.
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