"Nein, nein", sagte Wyrra auf Galaktisch
Selbst dem non Science Fiction Aficionado sollte James Tiptree Jr. mehr als nur ein Begriff sein. Zwar einerseits aufgrund natürlich seiner Schriften, von denen besonders die Stories der 1970er Jahre zu den erstaunlichsten Kreationen ihrer Gattung an sich zählen, aber andererseits aufgrund der spektakulären Biografie. James Tiptree Jr. ist, wie erst 1977 enthüllt, kein Mann – solcherart bis zur Verleugnung identifiziert u.a. aufgrund des als prototypisch gehandelt "männlichen" Gehalts der Literatur – Tiptree ist Alice Sheldon, eine quasi-viktorianische Raucherin und Ex-Spionin, die erst sehr spät das Schreiben begann. Im Endeffekt also fast eine lebende Parodie des technophilen, schwärmerischen guts-writer im Sinne von zum Beispiel Alejandro Jodorowsky. Sie setzte anschließend, aufgeflogen, ihre schriftstellerische Tätigkeit fort, wechselte in die Gattung Roman und setzte, ganz im Sinne ihrer Protagonisten, erst dem Leben ihres siechenden Mannes ein Ende und danach ihrem eigenen: 1987 hatte sie zweimal den Abzug gedrückt und damit einer Biographie aus zusetzenden Qualen, psychischen, körperlichen und sicherlich auch der Rollen, endgültig entsagt. Roberto Bolaño, dessen eigener früher Aficionado Tribut Der Geist der Science Fiction bald auf Deutsch erscheint, lässt in Amuleto ausrufen: "Alice Sheldon shall appeal to the masses in the year 2017."
Das tut sie bei Septime schon seit ein paar Jahren. Der Wiener Verlag präsentiert in neuer Übersetzung seit 2013 das Gesamtwerk der enigmatischen Tiptree, mitsamt Briefwechseln und biographischen Schriften. Sehr lohnend. Als letzter Band ist dieses Jahr der Roman Helligkeit fällt vom Himmel erschienen. Ein spätes Werk, 1985, der Autorin, in dem sich auf ziemlich komplexe Art und Weise eine Art Menschen im Hotel abspielt. Auf einem Stern landen diverse Gäste, die sich alle mehr oder weniger überraschend im Verlauf als Aliens, böse-böse Menschen oder kosmische Pornodarsteller entpuppen/ ausgeben, um unter einer vorbeiziehenden Nova in immer anderen Farben eine heftige Splatter-Eruption unter den Lebenden anzurichten. So in etwa. Die Fülle an Personen ist immens, die leserlichen Voraussetzungen, um all die Begriffe aus Zeitgestöber, merkwürdigen Waffen und Sternenchroniken zu verstehen, sind hoch. Das angehängte Glossar ist tatsächlich unentbehrlich. Es ändert allerdings nicht so viel daran, dass hier eine mehr oder weniger banale Geschichte, fast eine Art low budget plot, wenn man so will, erzählt wird, deren Stärken in ihrer Hingabe an die Gattung an sich stecken. Die Ironien, Sprachspiele, Gewaltausbrüche und versteckten psychedelischen Interieurs brauen eine eigenartige Leseerfahrung zusammen. Tatsächlich fühlt man sich hier nach absurden Tempowechseln, ausgetretenen Pfaden, merkwürdigem Pathos und äußerst detaillierten und expliziten Verletzungen in einer Art Psycho-Trash Welt wieder, die sich schon bald als neues Genre Cyberpunk etablieren sollte.
Mir wurde klar, dass sie davon ausgingen, mich nie wieder zu sehen. Ich dachte jedenfalls, dass Myr Cory das wissen sollte. Vielleicht habe ich alles falsch verstanden, vielleicht hat es nichts zu bedeuten. Als sie sich schlafen legten, verabschiedeten sie sich voneinander, als erwarteten sie nicht, gemeinsam aufzuwachen... aber vielleicht sollte das nur ein Witz sein... Vielleicht fantasiere ich schon alles Mögliche zusammen. Aber das andere, würden Sie ihr das bitte sagen?
Tiptrees Humor und sowohl Distanz als auch Verehrung einer (literarischen) Welt in der jedes Gesetz gebrochen, ältester Moral zugleich geheiligt werden kann, ist anziehend. Vielleicht ein gesetzloses Schreiben. Farbreich, jenseitig, bei aller Vordergründigkeit der Handlung doch von einer totalen, spürbaren Trauerkondition einer must-have Parallelwelt durchzogen. Vielleicht sollte man ihre vielfach ausgezeichneten Stories mehr empfehlen, doch irgendwie steckt in diesem 500-seitigen Dokument, überbordend schief konstruiert, doch mehr von der Denkwelt dieser besonderen Autorin James Tiptree/ Alice Sheldon, die diesen Fluchtraum aus Sprache bewohnt und mit ihrem Leben kommentiert hat.
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