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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Wäre alles so einfach wie

Hamburg

Frech sind diese Gedichte, nicht schwer und auf eine gute Weise gedankenlos. Und sie wagen eine eigene Sprache, vielleicht ein bisschen naiv, grad heraus, der man noch nicht häufig begegnet ist. Johanna Schwedes' neuer zweiter Band, erschienen bei Reinecke & Voß, liest sich leicht und ein bisschen überrascht mit dieser Feststellung der erneute Blick auf das Cover, die dunkle schwarz-weiß Fotografie strahlt mehr Bedächtigkeit aus, als der Titel und die Gedichte einhalten.

Die überschaubare Anzahl von 31 Gedichten ist auf vier kleinere Abschnitte aufgeteilt, gut ein Viertel der Texte ist mit „Kalenderblatt“ und einer römischen Ziffer übertitelt, wie dieser erste:

Kalenderblatt II

ich tippe an deine Schulter, wäre ich neugierig
ich würde schon mal fragen
wie bist du eigentlich hier hin gekommen
mit deinem Inneren wie ein Spulwurm auf einem Löffelstiel gedreht
und deine Zunge fährt mir in den Mund
wie eine Handvoll Sand: Vorsicht!

ich bin eine Wüste
an meinen Rändern
verdursten Kamele

Wie hier dreht sich überhaupt viel um das Ich und das Du in diesem Band, aber es dreht sich um noch ganz viel mehr, das sind unheimlich wuselige Texte, mit viel Körper, Streichhölzern und Gespenstern, mit Kerzen, Luftballons, Monden, Kleingeld und Wäscheleinen. Eine ganze angefüllte Dingwelt ist dieser Band, die durch ihre leichtfüßige Selbstverständlichkeit überzeugt: „Der Asphalt klingelt, ich geh ran“, der Titel gibt diese schon programmatisch vor.

Es ist allerdings schade, dass Johanna Schwedes den Dingen nicht selten diese Eigentlichkeit nimmt, indem sie sie mit unzähligen Metaphern, Bildern und Wie-Vergleichen zum Überkochen bringt und auch häufig in einen schwärmerisch, allzu abgegriffenen Tonfall gerät, der Floskeln nicht scheut.

Das Lallen hinterm Ohr ist das Lied des Säufers

kopfüber hängen
wie Fledermäuse
wie auf einer Party dahingesagte Sätze
Wolken
und belanglos fällt Regen
bis unter die Erde

ich öffne ein Bier
halte die Flasche an den Mund wie ein Fernrohr ans Auge:

Die Dämmerung ist eine Blaue Geige
Bierflaschen treiben wie Enten im Teich
und der Mond geht auf

hinterm Vorhang
hinter vorgehaltener Hand

falte ich einen Kranich in die Lunge
vom Sofa Applaus wie Wind im Gebüsch

Im ersten Abschnitt „Ausatmen und denken für immer“ überzeugen trotz der Fülle an expliziten Vergleichen die zwei langen „Gedichte Kalenderblatt VIII“ und „Während du mir sagst“, die diesen bestechenden Ton, der grad heraus geht, exemplarisch vorführen. Hier zitiere ich aus ersterem, aus dem auch der Titel dieser Rezension entnommen ist:

Stimmt schon, ich muss mich, auch alle Gedanken
entzünden mit Vorsatz wie ein Streichholz
das ich nach einem langen Spaziergang im Regen mit klammen Fingern
in meiner Manteltasche finde –

(meine Finger, so bleich wie ein Schloßgespenst, siehst du? Sie zittern
ein wenig wie ein verschreckter Mund. Huhuu. Ich weiß, ich lenke ab.
Mein Zeigefinger fährt die Kurven deines Innenauge Rollkragens ab.
Zum Mund und an die Zungenspitze da schmeck ich den Vorwurf
er schmeckt wie Zitronenschale
was solls und)

wie dem auch sei: Ein Streichholz mitsamt Schachtel, das ich
in meiner klammen Manteltasche fand zufällig.
...

Wie hier erscheinen im ganzen Band vereinzelt sichtbar gestrichene Wörter und Passagen. Was an einen Werkstattprozess erinnert, ist vielleicht die Umkehrung des Überbordenden, die Rückbesinnung auf die Eigentlichkeit der Dinge. Was diese Geste angeht, hätte der Band ruhig noch ein wenig mutiger sein dürfen. Wäre es so einfach, einfach zu sein, Johanna Schwedes hätte vieles nicht gebraucht.

Johanna Schwedes
Der Asphalt klingelt, ich geh ran
Reinecke & Voss
2018 · 58 Seiten · 10,00 Euro
ISBN:
978-3-942901-31-4

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