Die Topografie der Leichtigkeit
Am Ende fragt man sich, wie es zu dem Titel kam, den die Autorin für ihr schmales Werk Schwämme wählte. Hinweise streut sie im Eröffnungsgedicht Morsch, in dem das lyrische Ich sich penibel an Oberflächen abarbeitet. Da ist der See, das Ufer, die Tanne, der Felsen, Gelände, dem durch unscheinbare, kunstfertige Handgriffe Sinnlichkeit beschert wird:
„[…]sie [die Haut, MD] liegt auf diesem Gelände
wie auf einem im Schlaf schwitzenden Körper
bedeckt den Erdboden was aus ihm ragt
bedeckt den holzigen Würfel Hütte
die pulsierenden Wege zum Ameisenbauob ich zum Wasserhahn gehe
ob ich mich bäuchlings auf die Dielen lege
quer durch den Farn hindurch
gehe ich auch hier einer Arbeit nach […]“ (Morsch)
Unaufgeregt sind diese Gedichte, mit Bedacht gearbeitet. Zartheit könnte man ihnen als Eigenschaft beistellen, als hätte die Autorin Wörter aus dem Ärmel geschüttelt und in aller Ruhe das aneinandergefügt, was sowieso schon immer zusammengehörte. Dabei ist das Thema, um welches diese Gedichte kreisen so unaufgeregt wie deren Verarbeitung. Wie der dem Zyklus vorangestellte Satz von Ilse Aichinger „Ich wollte von dem langen Wohnen berichten“ suggeriert, handelt es sich hierbei tatsächlich um Gedichte, die Lebensräume ertasten, Wohnungen, Häuser, Felder oder eben den menschlichen Körper. All das wird übertragen in einer entschlackten und sehr präzisen Sprache. Nur selten kommt der Band von seiner Programmatik ab. Offenbar wird dieses Programm am deutlichsten im Gedicht Die ganzen müden Pferde:
„es gibt dieses Stück abgestecktes Land
eine lange Zunge zusammengepferchte Erde die auf Wasser liegt
auf diesem Land darf ich mich bewegendarf Pferde benutzen, an Höfen vorbei, an Erkern mit Licht und ohne
darf dieses Haus benutzen: vier Räume, daneben Büsche, ein Gartendarf in diesem Haus liegen, in einem der Räume
rieche wie das Haus riecht, wenn ich das Haus verlasseich benutze die Pfade: kreuze Wald, Tränken, Teiche
bleibe hier und da stehen; reibe mir Vögel wie Wimpern aus dem Augeich gehe Wege zu Ende und wieder zurück“ (Die ganzen müden Pferde)
Versuch einer Interpretation: kann es sein, das Kathrin Bach hier die Arbeit des Dichtens an sich beschreibt, die Höhen und Tiefen, die Aufgaben, Abgründe und Verantwortungen der Lyrikzunft? Ist das Abgesteckte Land das Gedicht, das Haus die Sprache, und umgekehrt?
Nur manchmal geht die Autorin weg von ihrem gewählten Pfad, aber ohne komplett auszuscheren. So wohnt dem Gedicht Ein Hund bellt einen anderen eine Geschichte inne, die so nur eine Biographie hatte zimmern können. Hier fängt plötzlich jemand an zu erzählen, aber bedacht, reduziert und –allem voran – leise:
„in der Luft liegen Bröckchen
kleine splitterartige Teile
reiben mir den Mantel den Mundich denke Kilometer
denke Omaihr Kriegsgefangener
isst im Nebenzimmer fünf Broteich denke Opa
in Opas Kopf wartet ein Granatsplitter
in meinen Ohren hausen Tauben
fliegen los und fliegen los
Tauben wie ein Handtuch ausschüttelnich denke Oma
ihr Kopf ein Laib Brot
ich bewohne eine Gegend
die gelüftet werden müsste“ (Ein Hund bellt einen anderen)
Die Stärke dieser Lyrik liegt in ihrer Einfachheit, indem sie Seiendes in all seiner Ruhe (im Sinne von ruhend!) ablichtet. Die Gleichwertigkeit der Begriffe spielt hier eine wesentliche Rolle. Nichts verkommt hier zur bloßen Aufzählung, zur Aneinanderreihung, alles schwingt auf derselben Ebene in- und miteinander. Dadurch können auch Gedichte wie Rinnsale entstehen. Dieses Gedicht handelt von der Liebe, ohne zu einem reinen Liebesgedicht zu verkommen. Die Liebe zum Detail, zur fehlenden (oder doch vorhandenen?) Hälfte, zum Gegenüber, das zuerst entgleitet und wie von selbst zu einem wiederfindet. Eines der stärksten Gedichte im schmalen Band der Wiesbadener Autorin:
„die Entscheidung nach rechts oder links zu schauen
sich für die Schwäne entscheiden oder Häuschen Häuser Leerstand
ein See und wie viel Prozent von diesem See
die Bilder im Kopf vorbeiziehen sehen dein halber Kopf
sich für Wand entscheiden oder Fenster für Gardine auf oder zu
der Zug der die Landschaft teilt die Äcker von hier aus
sich links neben dich stellen
sich für deine linke Hand entscheiden
ein halbes Paket Mehl das sich in meiner Hand löst
sich in dieses Bett denken in deinen Kopf
mit deiner halben Zunge sprechen ihr Schlingern
dein halber Kopf dein eines Bein dein Arm
eine Linie die sich zu krummen beginnt
sich für Fluss entscheiden für ein Stück von dem Fluss
für eine still gelegte Fläche die ich von allen Seiten betrachte
deine zwei Hälften unter der Decke
und der Punkt an dem sie zusammenführen“ (Rinnsale)
Was Kathrin Bach hier abliefert ist ein starkes Stück sinnlicher Poesie, die in keinem Moment ins Kitschige abdriftet. Die Sprache bleibt fokussiert auf die sorgsam gearbeiteten Bilder. Dass der Band lediglich aus elf Gedichten besteht, ist Segen und Fluch zugleich. Zum einen ist man betört von der Konsequenz, die diese Gedichte innerhalb ihres Programms fahren. Zum anderen will man aber mehr.
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