Tom Wolfe im weißen Rüschenhemd
Als Gelegenheitskritikerin über einen Gelegenheitskritiker zu schreiben, eröffnet ein seltsames Mise en abyme aus Schau- und Identifikationslust, das ganz frei von Subjektivität nicht sein kann. Versuchen wir es trotzdem!
Erst einmal: Was ist überhaupt ein „Gelegenheitskritiker“? K., die Erzählfigur in Klaus Siblewskis gleichnamigem Roman, versteht sich als jemand, der „nach Gelegenheiten suchen musste, Bücher besprechen zu können und dafür dringend benötigtes Geld (vornehmer: Honorar) zu erhalten.“ Nicht zuletzt aufgrund dieses Umstands zieht K. im ersten Kapitel nach Leipzig, da die Stuttgarter Mieten ein für sein Budget „existenzvernichtendes Niveau erreicht“ haben. Nun könnte es also richtig losgehen – doch leider tritt der Roman weiterhin auf der Stelle. Über viele Seiten hinweg begleiten wir K. beim Aufbau seiner Bücherregale, in den Heimwerkermarkt, teilen seine Rücken- und Kopfschmerzen beim Errichten des Schreibtischs (er muss exakt frontal zum Fenster stehen, da K. sonst nicht in der Lage ist, mit U., seinem Hauptauftraggeber, zu telefonieren).
Dass äußerlich in diesem Buch kaum etwas passiert, ist nicht das Hauptproblem. Es gibt durchaus Romane, die es schaffen, monotonen Alltagsgeschehen einen literarischen Mehrwert abzugewinnen, ihre Leser_innen soghaft in die Gedankenschleifen eines Zwangsneurotikers hineinzuziehen. Siblewskis Prosa allerdings liest sich in etwa so uninspiriert wie eine auf zehn Seiten ausgewalzte IKEA-Bauanleitung. Nur ungleich umständlicher:
„Während er eine Minestrone kochte, könnte er Krimis lesen, aber erstens las er keine Krimis (warf sie auch nicht weg), zweitens hatte er in der Küche nie die Muße zum Lesen von Büchern gleichgültig welcher Sorte (selbst Kochbücher betrachtete er dort nur von außen, blätterte aber nie in die Bände hinein) und drittens waren bald keine Krimis mehr in der Küche zu finden, selbst wenn er welche gesucht hätte, weil auch Romane und Sachbücher in die Küche wanderten.“
Wenn sich dann auch noch ungelenke Sätze häufen wie „Seine Zuhörer (auch er) hörten in stiller Andacht zu“, verdichtet sich der Wunsch, von diesem Kritiker bitte nie eine Kritik lesen zu müssen. Geschweige denn ein ganzes Buch.
Nur gut, dass die Prosapassagen vor allem dazu dienen, die für sich genommen durchaus amüsanten Rededuelle zusammenzuhalten, die das eigentliche Herzstück des Buches ausmachen. Zwar verwundert es ein wenig, dass K. es sich leisten kann, vier Tage lang intensiv eine Neuerscheinung zu lesen, bevor er überhaupt dazu ansetzt, sich um einen Besprechungsauftrag zu bemühen. Ebenso, dass U. (der Literaturredakteur einer Sendeanstalt in Norddeutschland) und seine Kolleg_innen die Zeit und Muße aufbringen, am Telefon ausgedehnte literarische Diskussionen mit K. zu führen. (In Zeitungsredaktionen entspricht es eher der Norm, in spätestens anderthalb Minuten wieder abgewimmelt zu werden. Wenn man überhaupt mal jemanden ans Telefon bekommt. Aber das mag beim Radio anders laufen.) Realismus beiseite, bieten diese durchgehend im Konjunktiv verfassten Dialoge – angesiedelt irgendwo zwischen absurdem Theater und scharfsinnigem Schlagabtausch – die bei weitem unterhaltsamsten Passagen des Buches.
Es geht um Text und Biographie, Literatur und Stilfragen, ja sogar den Zusammenhang zwischen Schreiben und Kochkunst. „Wann habe sich Tom Wolfe das erste Mal in einen weißen Anzug gesteckt? Und habe sich damals sein Schreiben verändert?“ fragt U. „Schreibt Tom Wolfe im weißen Rüschenhemd – eine Reportage“, kontert K. Anhand der Stasi-Tätigkeit von Fritz Rudolf Fries wird die Frage erörtert, inwiefern sich Literatur und Leben trennen lassen. „Sei ein Autor überhaupt für Lesekomfort verantwortlich?“ wirft K. in den Raum. U. argumentiert mit „Beliebigkeit“ und „Assoziationsterror“; K. hält dagegen: „Dieses Verständlichkeitsdiktat gäbe es bei den Staumeldungen des Senders“ – nicht aber in der Literatur. Per Olov Enquist wird als „Meister des verdrehten Halberzählens“ tituliert, als „literarischer Höchstleistungsverdränger“, Ralf Rothmann (anhand seines Romans „Im Frühling sterben“) als „Trainingsmonster“. Nun könnte man dieses verbale Aufplustern natürlich als ein bloßes Sammelsurium betriebsinterner Bonmots abtun. Tatsächlich aber kondensieren die Detailbeobachtungen in ihren besten Momenten das Wesentliche eines Textes, die charakteristischen Züge eines Autors – vermutlich besser, als es eine Buchbesprechung vermocht hätte.
Leider (für K. wie für den Roman) geht U. irgendwann die Rente, und der Ich-Erzähler muss sich umorientieren. Anstatt für Drive zu sorgen, stößt diese Wendung ihn in noch tiefere Lethargie. „Kurz flackerte der Wunsch auf, er sollte zuvor vielleicht seinen Schreibtisch aufräumen“, beginnt ein Absatz. Und endet mit den Worten: „Aber wie sollte es ihm gelingen, seinen Schreibtisch von Papier zu befreien?“ Dass dazwischen – ebenso wie davor und danach – absolut nichts geschieht, erübrigt sich schon fast zu erwähnen.
Die gute Nachricht: Siblewskis Literaturkritik-Dramolette finden sich (in leicht abgewandelter Form) auf https://volltext.net. Dort sind sie sehr gut aufgehoben und lassen sich wunderbar portionsweise genießen. Der darum herum gestrickte Roman ist, muss man leider sagen, überflüssig.
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