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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

schafttief im saft der parolen

Hamburg

Für Rezensent_innen, die gern mit Bleistift am Text arbeiten, ist „Luna Luna“ schon rein logistisch eine Herausforderung – oder aber eine subtile Einladung, neue Layer zu kreieren? Maren Kames‘ neoromantisch-psychedelisches Langgedicht ist komplett weiß auf schwarz gedruckt, eine schöne Parallele zum Leuchten von Mond und Sternen am Nachthimmel. Wie bereits ihr Debüt „Halb Taube halb Pfau“ kommt auch der neue Band optisch wie haptisch als Gesamtkunstwerk daher (was dann auch den stolzen Preis rechtfertigt): Ein paar Seiten in Knallpink (Nick Drakes „Pink Moon“ und Janelle Monáes „Pynk“ lassen grüßen) umrahmen die weiß-auf-schwarzen Textblöcke; den Umschlag überzieht ein ebenfalls tiefschwarzes Gewebe, das sich so edel anfühlt wie es sich nennt (Comtesse-Leinen); darauf prangt der Titel in discokugelglitzerndem Silber.

Einen matten Silberschimmer entfalten nun auch die Bleistift-Anmerkungen und -Unterstreichungen der Rezensentin auf schwarzem Grund, erkennbar allerdings nur aus bestimmten Winkeln und in bestimmtem Lichteinfall. Eine Fortführung jener Geheimschrift vielleicht, die sich bereits auf der Buchrückseite andeutet: schwarz in schwarz gestanzte Buchstaben, die besser zu erfühlen als zu sehen sind. Die „gans aus pappmaché“ (Kames bedient sich konsequenter Kleinschreibung), die in Variationen durch den Text geistert, hat hier ihren ersten Auftritt. Weitere Wesen, die den mal stark verdichteten, dann wieder in alle Richtungen zerfasernden Cut-up-Monolog durchstreifen, sind: eine so goldene wie schlaue „geisha“, ein „sheitan“, der sich vage zusammensetzt aus

„SCHEITERN
SCHANDE
SCHAM“

sowie ein Lamm, das sich mit einem Bären auf dem Rücken immer weiter von seiner Herde entfernt. Was auf- und untergeht in „Luna Luna“ sind weniger konkrete Figuren als Sprechpositionen, Pappaufsteller, Projektionsflächen, die oftmals zu bloßen Metaphern zerfließen. Manchmal läuft es aber auch umgekehrt, und ein Bär, den man sich aufbindet, vermag ganz praktisch gegen den Wind zu schützen (der allerdings gerade, unpraktischerweise, gar nicht weht). Ein „ich“ gibt es auch, vielleicht als alternative Versionen von Gans und Lamm gedacht, denn dieses Ich ist in gewisser Weise ebenso Opfertier, das sich aus dieser Rolle allerdings dringend lösen möchte:

„denn auf diese weise werd ich mich nie wieder von
jemandem öffnen lassen, und ausweiden“

Und natürlich spielen Himmelskörper eine wesentliche Rolle – doch sind auch die versehrt, etwa

 „eine schnuppe,
früher mit stern, jetzt ohne“,

oder der titelgebende Mond, der mutwillig seine Umlaufbahn verlässt.

Was passieren würde, wenn der Mond plötzlich verschwände, lässt sich in diversen astronomischen Spekulationen nachlesen: Die Erde würde schneller rotieren, ins Trudeln geraten, schwere Stürme brächen los etc. Kurz: Alles würde völlig durcheinander geschüttelt, in schwindlige Raserei stürzen, nur mehr fragmentarisch durch den Raum floaten. Und das ist letztendlich genau das, was in „Luna Luna“ passiert: Mal bröckelt die Sprache, mal wird sie in Hochgeschwindigkeit zentrifugiert; Buchstaben fallen vertikal, wie der grüne Zahlenregen in „Ghost in the Shell“ und „Matrix“, oder driften seitenweise ab in Richtung konkrete Poesie. Meist ist diese Gestaltung ziemlich gewitzt, an anderen Stellen wirkt sie eher wie unmotivierte Spielerei oder bloße Verzierung.

Durchgehend genial ist die Durchdringung des Textes mit Zitaten quer durch die (Pop-)Kulturgeschichte, von Schiller bis Radiohead, Tom Waits bis Helene Fischer. Wie Kames bereits in „Halb Taube halb Pfau“ gezeigt hat, versteht sie es, diesem nun auch schon in die Jahre gekommenen postmodernen Verfahren durch subtile, fußnotenbasierte Leser_innenlenkung immer wieder neue Bedeutungen abzugewinnen. Diesmal unterbrechen keine QR-Codes den Textfluss; den Soundtrack zum Mit- oder Nachhören gibt es dafür im Anhang. Und tatsächlich ist man schwer versucht, so ziemlich jede Zeile der Suada in eine Suchleiste seines Vertrauens einzugeben, nur um zu überprüfen, was die Autorin wo geklaut, durch Google Translate gejagt oder anderweitig verfremdet hat. Aus „i don’t wanna get over you“ wird beispielsweise „ich will nicht über dich gehen“, und dann, in einer weiteren Verschiebung: „ich will dich nicht übergehen“. Und woher bloß kennen wir „das mädchen mit den mausigen haaren“?  Natürlich, aus David Bowies „Life on Mars“ – doch der Verweis folgt erst Seiten später. Bis dahin lässt uns Kames genüsslich herumtasten im Halbdunkel unsres dauerreizüberfluteten Hirns.

Wie vermutlich deutlich geworden, schlägt in „Luna Luna“ die Form den Inhalt um Längen (was ja, zumal für Lyrik, überhaupt nichts Schlechtes ist), und dennoch, oder gerade darum, gegen Ende die Frage, worum es hier eigentlich geht. Ich würde mal sagen: Es geht um Liebe, Liebesverlust und Krieg – die großen Themen eben, aus ihren bekannten Zusammenhängen gerissen und neu angesiedelt im Grenzgebiet zwischen „fakeland“ und Abschussrampe zu höheren Sphären. Gekonnt spielt die Autorin mit Kitsch, Parolen und Phrasen, ohne sich allzu oft oder allzu selbstgefällig in distanzierte Ironie zu flüchten. Der Text, spürt man, will selbst zu einer fremden Landschaft werden, durch die man staunend wandert, „dorthin, wo nie ein Mensch zuvor gewesen ist“ (Raumschiff Enterprise). Diesem Anspruch wird er allerdings nicht ganz gerecht, bleibt er letztendlich doch gefangen im goldenen (bzw. schwarz-pinken) Käfig seiner allzu perfekten Aufmachung.

Hinaus (und zugleich nach Innen) führt schließlich der ewige Quest

„nach einer geeigneten kuhle oder schale für das
ziehen in deiner seele“

Wäre da nicht das wiederkehrende Dilemma:

„ich habe keine vase.
Ich habe gar keine vase.

(eine schale auch nicht.)“

Maren Kames
Luna Luna
Secession Verlag
2019 · 112 Seiten · 35,00 Euro
ISBN:
978-3-906910-67-3

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