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Kritik

sprechen wirs aus

Hamburg

Man weiß es: Am Ende steht der Tod, der unsere einmaligen Leben beenden wird. Nur selten setzen wir uns damit auseinander, denn wir sind gut darin, diese Unausweichlichkeit zu verdrängen. Spricht man doch einmal mit Bekannten darüber oder liest Umfragen, die sich mit dem Lebensende befassen, stehen an der Spitze der Wünsche entweder der plötzliche Tod, der uns mitten aus einem erfüllten Leben reißen, oder ein Tod, dem kein langes Leiden vorangehen möge, der aber noch Zeit lässt, sich von den Liebsten zu verabschieden. Das Gegenteil wird für viele von uns der Fall sein, „weil alles profan nun mal ist“. Solche Wünsche klammern den Prozess des Alterns und Sterbens aus, wollen das Unvorstellbare, nämlich das allmähliche Abnehmen unserer körperlichen und geistigen Fähigkeiten, nicht andenken, welches mit einem Verlieren der Gestaltungskraft und der Autonomie einhergeht. Spätestens gegen Ende unserer Leben werden wir Unterstützung nötig haben und auf Betreuung angewiesen sein, eine helfende Hand, ein nettes Wort. Wir werden Menschen brauchen, die da sind, Verwandte und Freunde, die uns Zeit schenken, obwohl sie nichts mehr von uns erwarten können, und professionelle Hilfe zu Hause oder in einem Pflegeheim, in dem wir dann unseren „Lebensabend“ verbringen, weil wir keine andere Option mehr haben werden. Wenn wir Glück haben, werden wir auf Pflegekräfte treffen, für die wir nicht bloß Dinge oder lästige Arbeit bedeuten, sondern die uns als Menschen begegnen, unsere Würde achten und uns mit Respekt behandeln, selbst dann, wenn wir krank, verwirrt und störrisch sind.

„Sterben und Alter“ ist selten Stoff in der Literatur. Exemplarisch sei hier an das Buch „Der alte König in seinem Exil“ erinnert, in dem Arno Geiger die letzte Lebenszeit seines Vaters erzählt. Nun hat Martina Hefter das Thema auf menschlich und poetisch beeindruckende Weise in den Mittelpunkt ihres neuen Gedichtbandes gestellt. Wie Geiger schreibt sie aus der eigenen Anschauung und dem eigenen Erleben, wie bei Geiger ist es ein naher Familienangehöriger, hier die Schwiegermutter, die sich dem Tode nähert. Hefter spricht auch den Umgang mit Alten, sich dem Sterben Nähernden und Sterbenden an, weist auf die politische Brisanz dieses Themas hin, denn

das ist durchaus eine gesellschaftlich relevante Frage
wie und wo man stirbt

Zwei Personen begleiten wir in diesen Gedichten und Sprechtexten. Da ist zum einen die namenlos bleibende „Schwiegermutter“, ein Wort, das Hefter zu „Schwermutter“ oder „Schwermutti“ verschleift. Wir erfahren, dass diese seit längerer Zeit in einem Pflegeheim lebt, früher in Chemnitz, nun in Leipzig.

Sie liegt da in einem Bett
Tag und Nacht
...
Sie kann den rechten Arm und die rechte Hand ein bisschen bewegen

Nichts mehr allein tun können, „schwer“ im Bett liegen und warten. Auf Hilfe warten. Warten, dass eine Pflegekraft kommt, sie umlagert, Windeln wechselt, den Urinbeutel leert oder das Essen bringt, beim Trinken hilft. Warten auf Besuch, darauf, dass jemand spricht, mit ihr Kreuzworträtsel löst, Reimspiele macht, den Fernseher aufdreht oder sie einmal die Woche mit dem Rollstuhl nach draußen fährt, hinaus auf die Straße, in ein Café oder ein Imbisslokal. Im Lauf der Zeit nehmen ihre Möglichkeiten weiter ab. Sie zieht sich zurück, schläft häufiger. Eines Tages spricht sie nicht mehr, „aber ihr Blick schießt herbei, trete ich ins Zimmer“. Etwas später heißt es:

Sie kann die Hand nicht heben,
keine Widerworte rufen,
muss in die leiseste Anschauung gehen

bis sie schließlich auch das Essen zu verweigern beginnt, „sie mag das Püree nicht mehr“.

Und da ist die Dichterin, die aus der Ich-Perspektive beobachtet, reflektiert und ihre Eindrücke verdichtet. Sie setzt sich ohne Schutzmantel zweifach aus, wenn sie die Schwiegermutter besucht und wenn sie die gemeinsame Geschichte nun in Gedichtform vorlegt. Martina Hefter wappnet sich gegen mögliche Einwände, wirft uns durchaus angriffig ihren eigenen Namen hin und ihre Telefonnummer hinterdrein, fordert zur Kontaktaufnahme auf und stellt sich auf Schattierungen etwaiger Reaktionen zwischen Umarmung und Ringkampf ein. Und sie legt „Überlegungen poetologischer Natur“ vor, thematisiert die Schwierigkeit lyrischer Produktion „in solchen Situationen, ... in solchen Zimmern, in solchen Fluren, in solchen Gärten“, zeigt uns ihr Tasten nach dem Wie eines lyrischen Sprechens, das lebensnah ist und nichts poetisch oder philosophisch schönt, spricht Skrupel an

Wie oft schon hab ich gedacht, du darfst aus dem Unglück anderer / keinen künstlerischen Nutzen ziehen. / Ein Teil Aberglaube, ein Teil moralische Befangenheit

und ihre Freude am Entwickeln der vorliegenden Texte. Diese geben Zeugnis einer persönlichen Wandlung. Anfangs zeigt sie sich als Schwiegertochter, die ihre Pflicht erfüllt. Ihr Anspruch, stets ein guter Mensch sein zu wollen, gerät in Konflikt mit anderen Ansprüchen. Denn da ist die Poetin, die sich zwischen Familienleben, Literatur, Tanz und Probenarbeit auch noch drei Mal die Woche Zeit abringt, die Schwermutter im Pflegeheim zu besuchen. Sie ist voll Ungeduld, schafft es kaum, sich auf die ganz andere Geschwindigkeit im Heim herunterzufahren. Zugleich lotet sie ihre Verunsicherung aus, weiß manchmal nicht umzugehen mit überfordernden Situationen.

Du bist aber heute durcheinander
du bist doch gar nicht dement
Jetzt reiß dich mal am Riemen oder
willst du dement sein wie die anderen Omis hier, sag?
Du bist doch die Einzige, die nicht dement ist

Hefter beschreibt ausgekotzte Leberwurstbrote, die Farben von Essensbrei oder Pudding, der aussieht „wie Eierlikör mit Geschwür“. Sie spricht von Lucy, der pechschwarzen Pflegeheimkatze, die als Streicheltier dient, doch von einigen Alten als Tod bringend gefürchtet wird. Sie verzweifelt an den Launen und wechselnden Tagesverfassungen ihrer Schwermutter, denkt über den freien Willen aller Menschen nach und erzählt zugleich von kleinen Ausflügen, die mehr den eigenen Wünschen folgen als dem Wollen der Schwermutter. Zudem fragt sie offensiv nach dem Mehrwert ihrer Besuche für die Gesellschaft und ob sie dafür nicht bezahlt werden müsste.

Mit der Zeit verlangsamt sie und öffnet sich, entwickelt eine ums Verstehen bemühte Hingabe, die die Belastung durch die Besuche in den Hintergrund rückt und das unaufhaltsame Loslösen aushalten lernt. Sie kann im Heim von sich absehen, da sein und statt mit Worten mit allen Sinnen kommunizieren. Still hält sie die Hand der Schwermutter und merkt, dass diese die Geste nicht nur zulassen kann, sondern sich darüber freut. Oder sie räumt der Erkenntnis „dass ich sie liebe“ und Gedanken an die eigene Endlichkeit Platz ein. Auf einmal ist es stimmig, sich, jenseits der Frage, ob „ein Gespräch uns Gewinn“ brächte, nun schweigend mit der Schwermutter in einem Raum aufzuhalten und eine tiefe Verbindung zu spüren, die „allein durch Präsenz“ entsteht.

Martina Hefter verdichtet die reale Welt des Pflegeheims in ihrem Buch in unterschiedlichen Textsorten und reichert sie durch Träume, Fantasien und surreale Einsprengsel an, etwa mit den Wahrnehmungen der Heimkatze, die durch die Zimmer streift, oder dem Gespräch einer Gletschermumie mit den Pflegeheimbewohnern. Eines der am häufigsten vorkommenden Wörter ist „Teufel“, der in vielerlei Gestalt, Bedeutung und Zuschreibung erscheint. Er ist der archaische Durcheinanderwerfer, der Beziehungen und Sinne verwirrt, der Böse, Verführer und wandlungsfähige Feind, der zuweilen menschliche Züge und Eigenschaften trägt und mit oder aus dem Ich, der Schwermutter und anderen HeimbewohnerInnen spricht. Dem Wort „Fluss“ kommt ebenfalls Bedeutung zu als Symbol für das Einende und Trennende, mal agiert er gefährlich, mal freundlich, und er ist von je mit Geschichten von Leben und Tod verbunden. Sind auch Sterben und Tod im Alltag des Heimlebens präsent, so blitzt immer wieder Komik und ein ins surreale gleitender Witz auf, der den verschobenen Wahrnehmungen, veränderten Realitäten und der Abgeklärtheit der alten Menschen entspringt.

Die Betreuung alter Menschen ist Schwerarbeit, die eine entsprechend gute Ausbildung, Hingabe, die Bereitschaft zu dienen und ein strapazierfähiges Nervenkostüm voraussetzt. Martina Hefter vergisst nicht, darauf hinzuweisen, dass hier einiges im Argen liegt, wenn Pflegekräfte manchmal „biestig oder erschütternd oder schweigsam oder stumm wie Steine“ sind, schimpfen, sich in den Zimmern rar machen und Notrufklingeln ausgesteckt werden. Und die Dichterin lässt anklingen, dass eine Gesellschaft sich dringend über wünschenswerte Standards der Betreuung in Altersheimen, (soziale) Kompetenz und bessere Bezahlung der Pflegekräfte verständigen müsste, um dem Mangel an qualifiziertem Personal entgegenwirken zu können. Denn wie wollen wir, dass man mit uns am Ende unseres Lebens umgeht?

ein gutes Krankenbett lässt die Kranke mit den Augen zum Fenster liegen.
Steht das Fenster offen, strömt Himmel herein,
was das Zimmer so luftig macht, dass es selbst

Himmel

und allmählicher Schwund des Himmlischen.
Auch Himmel vergeht, Himmel wird geringer,
verdünnt sich, strömt fort,
eine einzige Plage und ein großer Verlust

Martina Hefter
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2018 · 112 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3937445908

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