Kein Riss ist tief genug
Matias Faldbakkens neuer Roman „The Hills“ (Aus dem Norwegischen von Maximilian Stadler) nimmt einen merkwürdigen Verlauf. Er beginnt, baut sich auf und verschwindet, ohne, dass im engeren Sinne etwas passiert wäre. Doch so wenig Handlung, so ausgeprägt ist die Wirkung der Leere, die sich steigert, bis es scheint, als bliebe von allem nur ein schwarzes Loch. Im Nachhinein hat man sogar den Eindruck, als wäre von Anfang an nichts da gewesen. Oder vielleicht sogar so: Dass die Handlung nur dazu dient, der Leere einen Raum zu geben, sie quasi einzumauern, um sie betreten zu können.
Faldbakken erzählt die Geschichte aus der Perspektive eines namenlosen Kellners. Seine gewissenhafte Arbeit, die er, ohne dass es konkret benannt werden würde, seit langer Zeit im titelgebenden „The Hills“ ausübt, strukturiert den Handlungsstrang. Von Beginn an liegt der Szenerie etwas Vergangenheitsorientiertes zu Grunde. So heißt es gleich im ersten Absatz: „Ich stehe hier, stramm, in meiner Kellnertracht, und könnte so genauso gut vor hundert Jahren oder mehr gestanden haben“. Wie der Kellner in seiner Uniform, ist die gesamte Erscheinung des Lokals inklusive der Gäste an der Bohème des frühen 20. Jahrhunderts orientiert, ohne allerdings noch viel von ihrem Glanz zu versprühen. Der Verschleiß setzt sich über die feinen Risse ins Bild, die das einstmals noble Interieur durchziehen. In der Art, wie der Kellner über einen zersprungenen Spiegel, den zertrampelten Steinboden oder die alten Kronleuchter spricht, kommt zum Ausdruck, dass seine Bemühungen der Konservierung dieser im Verschwinden begriffenen Welt gelten. So sollen auch die Filzvorhänge, „an deren Rändern zum Schutz gegen Verschleiß Kalbsleder aufgenäht wurde“, verhindern, dass „die Wärme nach draußen dringt“. Entsprechend sensibel reagiert der Kellner auf alles, was diesen Schwebezustand gefährden könnte, wozu neben Handys auch zu starker Alkoholkonsum oder neue Gäste zählen.
Faldbakken charakterisiert diesen Zustand allerdings nicht allein in Form harter Gegensätze, sondern über eine von Ironie unterlaufene Sprache, die den Versuch des Kellners mit zum Ausdruck bringt, so viel Gegenimpulse wie möglich zu absorbieren, ohne dabei an finalem Härtewert zu verlieren. Seiner strammen Haltung entspricht daher eine neurotische Geisteshaltung, die allzeit bereit ist, potentielle Gefahren zu identifizieren und frühzeitig zu neutralisieren. Eine typische, sich aus dieser Figur heraus ergebende Szene entwickelt sich, als das „Schwein“, so der Name eines Stammgastes, bedient wird:
„`Haben sie heute den weißen Burgunder? `, fragt das Schwein. `Selbstverständlich. ` Ich warte zwei höfliche Takte, bevor ich die nächste Frage stelle, auf die ich die Antwort bereits kenne. `Im Glas, oder nehmen wir eine Flasche? ` Das Schwein denkt nach. `Ach, nehmen wir eine Flasche. ` Plötzlich erhebt er sich, ich kann gerade noch den Stuhl zurückziehen. Er streckt die Arme in Richtung eines hübschen Paares aus, das sich zwischen den Tischen nähert. `Blaise! (gespr. Blés!)`, sagt das Schwein mit Begeisterung. Und dann, mit warmer Stimme: `Katharina.`“
Faldbakkens Sprache ist nicht nur an dieser Stelle sondern im gesamten Verlauf des Buches unglaublich nahe an der Bewegungsqualität eines Kellners, wie man ihn sich in einem gehobenen Lokal wünscht: Immer da, ohne sich aufzudrängen. Die Manieriertheit, in der Text und Kellner zusammenfinden, steht auch für das Überlegenheitsgefühl, das für den namenlosen Raumdeuter von existentieller Bedeutung ist. Denn sie ist eine der notwendigen Voraussetzung um alle möglichen Anschlussszenerien antizipieren und dadurch immer schon einen Schritt weiter sein zu können, als gerade notwendig. Doch so tief diese Eigenschaften auch mit positiven Begriffen wie Professionalität oder Präzision verbunden sind, so verweisen sie gleichzeitig auf eine Schwachstelle im System des Kellners. Sie gehen sich nicht gänzlich im Code vornehmer Zurückhaltung aus, sondern deuten auf eine systemische Verpanzerung hin, deren Existenz durch etwas anderes begründet zu sein scheint: Angst. Irgendwann wird nämlich unübersehbar, dass jede Form von Außenwelt nicht nur nicht thematisiert sondern aktiv ausgeschlossen wird, sodass der Innendruck stetig zunimmt. Was bleibt, ist die Vertiefung in die Eigenwelt, die ab einem bestimmten Punkt verdammt eng wird.
Während für jene, die Veränderung bejahen, der Schmerzpunkt immer außen liegt, leiden Verweigerer wie der Kellner von innen. Das größte Probleme bereitet dem Kellner demnach auch nicht der Ursprung seiner Sorgen, sondern wie sie sich in seinem Gesicht zeigen, ohne, dass er es verhindern könnte: „Es ist, als wäre mein Gesicht ein Abdruck aller Sorgen, die sich in mir im Laufe der Jahre angesammelt haben, die Sorgen sind die Gussform meines Gesichts. Ich verspüre oft eine Anspannung und weiß, was sie mit meinem Gesicht anstellt: Gewebe und Unterhautfett werden von den Sorgen ausgedörrt. Ich fühle, dass die Mundwinkel nach unten gezogen werden. Ein Ziehen im Gesicht, das habe ich.“ Faldbakken wählt einen etwas überdeterminierten Ort, wenn er den ersten Unfall in den Keller des Lokals verlegt. Doch immerhin wird über die Episode im Untergeschoss, in dem sich der Kellner auf der Suche nach einer neuen Flasche Niepoort verletzt, deutlich, dass die Konfliktlinien immer direkter auf die Seele zulaufen und sich in ihr verkeilen.
An diesem Punkt der Geschichte angekommen, erwartet man gewöhnlicherweise einen Ausbruch. Doch dramaturgisch bricht Faldbakken mit der herkömmlichen Erwartung an einen Höhe- oder Wendepunkt. Die Situation spitzt sich zwar weiter zu, da der Kellner spontan auf die junge Tochter eines Freundes aufpassen soll, was er unwillig aber letztlich doch pflichtbewusst auf sich nimmt. Weil Edgar auch am frühen Abend noch nicht wieder aufgetaucht ist und der Tisch, an dem Anna auf ihren Vater wartet, reserviert ist, muss der Kellner improvisieren, was ihm als Kontrollfreak überhaupt nicht gefällt. Doch dann verflüchtigt sich die Spannung wieder, gerade so, als wäre sie nie dagewesen. Anstatt einer befreienden Explosion oder wenigstens einem dramatischen „fast“ löst Faldbakken das ganze Problem in der Eigenlogik des „The Hills“ auf: Der Kellner legt Anna in eine leere Abstellkammer und wartet, bis sie eingeschlafen ist.
Was von diesem Roman bleibt, ist die beunruhigende Überlegung, dass es möglich ist, einem räumlichen Stillstand so ähnlich zu werden, dass einem die eigene, innere Bewegungslosigkeit nicht mehr auffällt. „Es klirrt, aber die Geräusche sind gedämpft“, lautet einer für die Geschichte typischen Sätze. In ihm steckt dieses Nullsummenspiel, auf das Faldbakkens Kellner so gewissenhaft hinarbeitet.
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