Raves, Jugend und Drogen
"Glücksreaktor" ist ein Roman über Raves, Jugend und Drogen gegen die öde Kleinstadtkulisse ca. Mitte der Neunziger, also: darüber, Raves, Jugend und Drogen darauf zu verwenden, dass die öde Kulisse selbst verschwinde; über ein drängendes Bedürfnis nach Wirklichkeit, welches sich am Reflexionsniveau des Icherzählers ebenso zeigt wie am Niveau seines Drogenkonsums.
Das Buch lässt sich sehr kurzweilig lesen. Sein Verfasser verschwendet keine Zeit und eröffnet es mit einem klaren, elegant aufgebauten mission statement; die Verschiebung des Tonfalls auf den ersten paar Seiten – von der abstrakteren, entspannteren Beinahe-Anrede-an-die-Leser hinein in die spießige Kleinstadt, "Samstags, nach dem Frühstück…", an und in der sich das Revoltenwerk des Techno vollziehen soll, sie geschieht unmerklich. Eine gekonnte Setzung, die sich in ähnlicher Weise oft wiederholen wird: Hier das souveräne, an keinen Zeitpunkt innerhalb der Erzählhandlung gebundene Ausbreiten von naturwissenschaftlicher Theoriesprache als Medium der Selbst(ab)setzung, der inneren Distanz unseres jugendlichen Helden Fred zu seiner Umgebung – da die Ereignisse einer gestörten (zu störenden) Reproduktion des Systems "Siemensmitarbeiter"-Kleinfamilie nebst Drogenerlebnisse – und die Übergänge zwischen den beiden stets fransenlos, unaufdringlich, effizient gesetzt.
Überhaupt ist die Komposition der recht kurzen Kapitel, die Organisation von Textblöcken mit unterschiedlichen Sprachregistern, das wichtigste Stilmittel Wolfs, um einen Eindruck von Atemlosigkeit, 'Wirklichkeit', Unmittelbarkeit zu erzielen, um den Kontrast von äußerer gesellschaftlicher Enge und der "inneren" Weite von Droge, Tanz und Mathematik scharf zu bekommen und dabei nachvollziehbar zu bleiben.
Dieses selbe Stilmittel von Komposition, angewandt auf den Gesamtverlauf des Buchs – ich sage nicht "plotting", in dem es doch um mehr als nur die Handlung geht – stellt allerdings auch seine größte Schwachstelle dar: zu absehbar ist, worauf das Gesamtgebilde hinausläuft; gar zu versöhnlich mit der Kleinstadtwelt der Schluss (nicht für den Icherzähler, gottlob, aber sehr wohl für den Leser, der sich schlussendlich in den eigenen Lebensentscheidungen dann doch noch bestätigt sehen darf, aller ihm [mutmaßlich] mangelnden 'Intensität' zum Trotz: immerhin taumelt er, der Leser, nicht zwangszugedröhnt auf der Flucht von der Polizei durch ein Zimmer, verunsichert über den Wirklichkeitsgehalt seiner Wahrnehmungen …).
Natürlich liegt der Vergleich von "Glücksreaktor" mit Rainald Goetz' Klassiker "Rave" nahe; sein Ergebnis ist klar und muss mitnichten als Werturteil verstanden werden: Beide Bücher nehmen sich eines ähnlichen Sets an Stimuli an, aber in "Rave" geht es darum, was diese Stimuli mit Sprache und Bewusstsein machen, in "Glücksreaktor" eher um ihren Einfluss auf die Biografie. Goetz' Buch stellt die unorganisiertere Innenansicht eines Phänomens dar, das von Wolf zur Begutachtung von außen inszeniert wird. Die Ichposition im Text von "Glücksreaktor" ist dabei Teil der Inszenierung, und besonders die jugendlichen Arroganz des Protagonisten gegen die "Ameisen", die ihn umgeben, hat eine Doppelfunktionen in dieser Inszenierung. Sie ist innerhalb der dargebotenen Handlung die erste Motivation für Fred, die wir zu sehen kriegen (druckbehaftete Abgrenzung zur Normalität seiner Eltern; der "want" in der need/want-Plotgleichung der Hollywooddrehbücher), und sie ist auf der Ebene des gelesenen Texts die Anknüpfung für die – der Außensicht angepassten – wissenschaftlichen oder technischen Jargons, in denen uns die Freds Reflexionstätigkeiten aufbereitet werden.
Wie gesagt: "Glücksreaktor" lässt sich kurzweilig lesen; wenn schon nicht wegen der Handlung selber (also: ihrer wenig originellen 'Moral': "hier, dieses Glücksversprechen, diese arrogante Grundhaltung, sie sind angesichts der drögen Wirklichkeit so nachvollziehbar wie zum Scheitern verurteilt"), dann jedenfalls wegen der Momente, wo Wolf die unterstellt prosaische, naturwissenschaftliche Sprache des inneren Monologs seines Protagonisten zum Schwingen/Tanzen bringt. Wo es um die Sache selbst geht, das High, den Moment – an diesen Stellen sind wir dann froh, dass wir eingeschaltet haben.
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