Wasser ist gut
Als Lesebuch angelegt, vermittelt Dem Menschen gerecht eine der wichtigsten klassischen chinesischen Philosophien: Das sogenannte Buch Menzius, des Mengzi. In einer Reihe mit weiteren Klassikern wie Zhuangzi u.a. bei Matthes & Seitz, bringt das ansprechend gestaltete Buch anschaulich und dennoch nicht übererschöpfend den Spagat zustande, das zwischen Lebenskunst bis Esoterik auf der einen und Denkabenteuern und Staatsphilosophie auf der anderen Seite angesiedelte/ verstandene Werk des Menzius zu präsentieren. Hendrik Jäger zeigt auf vor allem sprachanalytischen Wegen (im Chinesischen und dessen Kontextabhängigkeit/ sprich: Dehnbarkeit und permanenter Ambivalenz mehr als nötig), was die Lehrsätze und Fabeln, die Gespräche und Geschichten des Menzius bedeuten (können). Vielfach mit Blick auf die Konfusionen und Morallosigkeiten von heute. Denn obwohl der in der Tradition des Konfuzius stehende "Moralphilosoph" Menzius, anders als der etwa zeitgleiche Daoist Zhuangzi, die sich allerdings wohl nicht gekannt haben (wollen?), eindeutig dem hierarchischen Denken der Kaiserdynastien der vorchristlichen Antike verhaftet ist mit allen Verantwortungen und Entscheidungen abhängig von ihrer jeweiligen Position in der menschlichen Rangpyramide, so gelte er doch, laut Jäger, als ein Humanist par excellence, der es erreicht hat, völlig zeitlose Menschheitswerte in jedem Einzelnen zu durchleuchten und zu potenzieren bzw. zu ertüchtigen. Menzius' Kernaussagen gelten weit über ihre Zeit und ihre Entstehungskultur hinaus. Sie haben die völlige Ignoranz der westlichen Denker, von Leipnitz, Kant bis Hegel (die ihnen jeden philosophischen Rang und Gehalt abgesprochen haben) lange überlebt und stehen, so wie Jäger sie auslegt, heute mehr denn je als mögliche Werkzeuge auf dem Weg zu einer (optimistischen) Vervollkommnung/ "Veredelung" eines jeden Individuums zur Verfügung.
Der Dreh- und Angelpunkt in Menzius' Philosphie ist das Herz. Es fühle und denke zu gleichen Teilen. Lernen und Bildung hieße, es wieder für sich zu nutzen und "den verlorenen Kontakt zu ihm wiederzufinden". Fast jesuitisch (de Certeau etc.) steht allerdings nicht eine Theorie hier im Vordergrund, sondern es geht vielmehr ums Handeln, handeln um der Erfahrung (der Bildung) willen.
Deswegen sind chinesische Denker auch sehr skeptisch gegenüber moralischen Belehrungen, solange sie nicht dazu ermutigen, sich für die unmittelbare Erfahrung zu öffnen und aus dieser zu lernen [...]
Ein solches Handeln, das von wirklichem Gefühl getragen und motiviert ist, ist somit das Gegenteil eines vernunftgesteuerten, kontrollierenden Handelns aus moralischen Prinzipien. Es ist kein Handeln nach religiösen oder gesellschaftlichen Regeln, seien sie geschrieben oder ungeschrieben, und es begründet sich nicht aus einem Glauben an einen absoluten Gott oder an eine absolute Vernunft. Es entfaltet sich, indem der Mensch sich zu anderen Menschen und zur Natur in Beziehung setzt, es bildet sich in Erfahrungen mit dem eigenen Charakter und im Umgang [...] Mit geduldigem inneren Wachstum kann aus jedem Menschen ein "Edler" werden, ein Mensch, der lernt, das Richtige zu tun, weil es ihm innerstes Bedürfnis ist und nicht, weil er jemandem etwas beweisen will.
Natürlich ist das nur möglich/ nötig, weil Menzius davon ausgeht, das jeder Mensch ein Herz hat, das das Leiden anderer nicht mit ansehen könne. Des Reformators Menzius' ungemein erfolgreiche Philosophie, er war Berater verschiedener Könige und hat es "gewagt", ihnen reinen Wein einzuschenken, wurde zur Staatsphilosophie bis ins frühe 20. Jahrhundert erklärt und er (Das Buch Menzius) galt als kanonischer Prüfungsstoff eines jeden Beamten. Seine Weiterführung der konfuzianischen "Gesprächstherapie", die mehrdeutige Verwendung von ein und demselben Begriff, macht aus der vermeintlichen Theorie ein biegsames, fast theaterhaftes Werkzeug der Praxis. Es steht nicht die Frage im Vordergrund, obwohl die Weisen von allerlei Fragern nur wegen einer Frage aufgesucht werden. Es steht der Fragende im Vordergrund, weil er selbst bereit ist sich zu öffnen, indem er fragt.
"Die Antwort gilt dem Menschen in diesem Augenblick, und sie hat keinen endgültigen und universalen Anspruch." (Daher die vielen, scheinbar verwirrlichen Antworten der Meister oder ihr merkwürdiges Verhalten.) Dennoch räumt Jäger ein, "man hörte ihm wohl zu und zeigte sich von seinen Einsichten in die psychologischen Gesetze der Macht beeindruckt, aber es scheint niemanden gegeben zu haben, der sich durch diese Einsichten tatsächlich gewandelt hätte."
Henrik Jäger gliedert das Lesebuch in eine lange Einführung mit vielen Querverweisen und geht erst spät in die vertiefende Studie der Originallektüre, bei der die kurzen Lehrtexte des Menzius in Original und Übersetzung aufbereitet werden, typographisch mitunter ein bisschen manieriert und unübersichtlich, doch definitiv mit gutem Willen und, wie erwähnt, absolut nicht bis zur Erschöpfung. Umfangreiche Worterklärungen und Ambivalenzwege der Auslegung, sowie ein Glossar und weiterführende Literatur runden den vorzüglichen Band ab.
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