Angezapft
Das Kaffeesatzlesen oder die sogenannte Kaffeedomantie kann mit nassem oder trockenem Kaffeesatz durchgeführt werden, in jedem Fall wird er solange mit dem Finger durchgerührt, bis er die Tassenfläche — oder ggf. auch die Untertasse — bedeckt. Anderthalb Wochen, genauer: elf Tage bzw. Gedichte lang hat Nora Zapf die Muster solcher Kaffeesätze auf Wörtersätze übertragen, hat daraus sehr idiomatische Kaffee-Sätze gefiltert. Die Grammatik ist dabei ordentlich durchgeschüttelt worden, die Syntax fächert sich zu phantastischen Figuren auf, die Worte verschieben sich von einem Bedeutungs- in ein weitläufiges Deutungsfeld.
Es wäre interessant zu erfahren, auf welche Weise die Gedichte entstanden sind —: hat sich Nora Zapf von echten Kaffeesätzen assoziativ inspirieren lassen, eine süffige Form der Écriture automatique, wie sie die Surrealisten praktizierten, oder hat sie nur gewisse Prinzipien der traditionellen Kaffeedomantie auf die Struktur der Gedichte übertragen? Wir wissen es nicht. Einigermaßen klar und sicher ist nur, daß diese Kaffee-Sätze gedeutet werden möchten, auf ihren Sinn oder Unsinn hin abgeklopft sein wollen. Das Lesen solcher Sätze führt teils in schwer zu durchstochernde Dunkelheiten, teils zu einer aufschlußreichen Clairvoyance.
Der erste montägliche Kaffeesatz beginnt mit den Zeilen: „in deiner iris ist ein zug ankam / der war in dämmrung aufbrochen.“ Es findet sich hier bereits das meiste, das auch für die anderen Gedichte typisch ist: halb und undeutlich gehörte oder gesehen Sinneseindrücke, offene semantische Bezüge, irgendwie vorsprachlich und stammelnd, noch nicht richtig wach, auf der Suche nach Sinn und Bewußtsein. Der Kaffeesatz ist der Nährboden für die einsetzende Assoziationstätigkeit, die immer wieder rückgebunden ist an die konkrete Leiblichkeit: „einer zeigt mit ihrem zahn auf den nasen- / asphalt, von wo dein andrer rutscht unter u. / bis in den gaumen s. räuspert. vom gähnen zieht s. / mund hoch, backen s. gerundet sind, rosten ein [...]“.
Hübsche Worterfindungen tauchen auf mit einem undefinierbaren Stimmungs- und Bedeutungshalo, z.B. „nachtkrater“, „kellerzeilen“, „bohnenfutur“, „tanzkleidrichtung“. Überraschende Metaphern entstehen aus den Wortballungen, klumpen sich zu Bildräumen, die mal purer Unfug und mal ergreifender Tiefsinn zu sein scheinen. Irgendwelche Vortag- und Nachtreste mischen sich offenbar ein, Lesespuren, Ängste, Überlegungen etc., und kommen in neuer, oft rätselhafter Gestalt wieder hervor, zuweilen durch mehrere Sprachen mäandernd, eben ganz im Zeichen der Globalität. Einiges läßt ratlos zurück, anderes wiederum ist sehr einfach: „ein / gesicht mit falten, kl. hübsche fältchen, die zu augen s. / aufschwingen, von stunden formiert zu fragezeichen.“ Man sollte sich diesen Gedichten am besten willig überlassen, in ihnen entspannt-angespannt umherwandern, den Gedankensprüngen hinterdreinhechten, über die logischen Brüche hüpfen und verblüfft zusehen, was die Wortgärungsmaschine mittels klanglicher Ähnlichkeiten so alles ausspuckt — aus dem Bewußten oder dem Unbewußten, wer kann das so genau sagen —, denn es ist schön: „selbst / abends werden immer mehr, tagwein, nachtaus, wie brüh der auf wiederstadt / schüttete“.
So erheiternd, erhellend die Idee und das Konzept in den traumwandlerischen Assoziationen sind, sie zeigen letzlich auch die Grenzen solcher rein linguistischen Gestaltungsweise: In einem beschränkten Textkorpus allemal hochinteressant und den Intellekt fesselnd, in größerem Maßstab wohl doch allzu monoton —: ein aus diesem Verfahren destilliertes Buch von z.B. etlichen Dutzend Seiten ließe wahrscheinlich die Bindung und Verbindung zu einem außersprachlichen Inhalt, sprich: zur Außenwelt, zur Deskription eines wie auch immer gearteten subjektiven oder objektiven Zugangs zu ihr am Ende vermissen.
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