Hingabe
Dieser Besprechung liegt ein Missverständnis zugrunde. Und eine Enttäuschung. Von einem Buch, das in einer Reihe erscheint, die sich der Frage: Warum wir schreiben 1 widmet, hatte ich anderes erwartet, als die irritierend eitle Geschichte der Entstehung von Patti Smiths erster Kurzgeschichte.
Aber der Reihe nach: „Hingabe“ ist in vier Abteilungen gegliedert, und stellt mit der ersten Kapitelüberschrift implizit die Behauptung auf, dem Leser zu demonstrieren, „wie der Verstand funktioniert“.
Bei Patti Smith ist das so: Sie sieht den Trailer eines außerordentlichen Films bevor sie plötzlich recht überstürzt zu einer Reise nach Paris aufbrechen muss. Im Handgepäck ein Buch über Simone Weil und eines von Patrick Modiano. Die reich bebilderte Reiseerzählung entpuppt sich als Bericht über die noch unbewusste Vorarbeit für ihre erste fiktionale Geschichte. So etwas wie eine Wegbeschreibung davon, wie der Verstand funktioniert, oder jedenfalls eine Demonstration, wie Eindrücke zu einer Geschichte werden.
Für mich sind es weniger die Songs, Gedichte und Bücher, als die aufrichtige offene Haltung, die Patti Smith zu einer interessanten Person, vielleicht sogar zu einer Frau mit Vorbildcharakter gemacht haben. Insofern ist sie ein wenig wie die Protagonistin ihrer Geschichte in ihren besten Zeiten. Jemand, der völlig in dem, was sie tut, aufgeht. Ob sie eine Karriere als Sängerin macht, oder sich entscheidet, eine Dekade lang ihre Familie in den Vordergrund zu stellen. In einem Interview, das mich damals sehr beeindruckt hat, erzählt sie, der Erfolg habe ihr damals ohnehin nicht gut getan, sondern einer künstlerischen Weiterentwicklung eher im Weg gestanden.
„Ich bin froh, dass ich dann 16 Jahre mit meinem Ehemann Fred Sonic Smith und unseren zwei Kindern verbringen durfte. Er starb viel zu früh. Außerdem lernte ich in diesen Jahren der Auszeit Demut.“ 2
Es fällt mir schwer, diese Aussage, diesen Eindruck, den ich bislang von Smith hatte, mit „Hingabe“ zu vereinbaren. Einem Buch, das sich eher unbescheiden, um nicht zu sagen eitel um eine mittelmäßige Geschichte entfaltet. „Hingabe“, die Erzählung, die im Mittelpunkt steht, um die herum sich das Buch gruppiert, ist eine Parabel über Kreativität und Kunst, über Käuflichkeit und den Preis, den man für einen Traum zu zahlen bereit ist, bevor man ihn aufgibt. Ein spannendes Thema, das durchaus hart verhandelt wird. Leider ist die Geschichte nicht besonders gut erzählt.
Die ruhigen, später eingefrorenen Bilder des Films „Ristuules“ vom estnischen Filmemachers Helde Martti, und der plötzliche Aufbruch, weil Smith auf einen früheren Flug umgebucht wird, die Lektüre über die Biografie Simone Weils, die Suche nach unterschiedlichen Gräbern, Smith besucht die Gräber von Simone Weil und Camus, all das findet sich wieder in der Dramaturgie von „Hingabe“. Angekommen in Paris, wird Smith mitten in der Nacht vor dem laufenden Fernseher wach und sieht eine Eisläuferin, ein entscheidender Impuls für die Figur der Eugenia in „Hingabe“.
Der Geschichte eines jungen Mädchens, das als Kind mit der jüngeren Schwester ihrer Mutter der ethnischen Säuberung Estniens entfliehen kann. Ohne rechte Geborgenheit, sucht sie nach ihrem Ursprung, und findet trotz ihrer zahlreichen, sowohl naturwissenschaftlichen als auch sprachlichen Talente, einzig im Schlittschuhlaufen Erfüllung. „Sie wollte nur wissen, wer sie war, und sie wollte Schlittschuh laufen. Mehr nicht.“ Als ein reicher, lebenssatter älterer Mann sie zufällig beim Laufen auf einem verborgenen Teich entdeckt, entfaltet sich eine folgenreiche Liebes- und Leidensgeschichte. Stilistisch reich an kitschigen Elementen, einer großen Menge offensichtlicher Metaphern, umrankt von Unmengen von Adjektiven erzählt Smith wie die beiden einander zum Verhängnis werden.
Im Nachspiel, das zunächst vorgibt, nun endlich der Frage nachzugehen, warum schreiben? tauchen die Motive erneut auf. Smith folgt einer Einladung von Camus Tochter, und sucht auch hier, ganz in der Tradition ihrer Protagonistin, nach dem Ursprung. Die Themen, das muss man dem Buch zugestehen, sind geschickt miteinander verwoben. Wenn auch zuweilen widersprüchlich. So wenn Smith von der Demut schreibt, mit der sie in Camus Zimmer sein handschriftliches Manuskript lesen darf, nur um im folgenden Kapitel ihr eigenes Manuskript, „written on a train“, abzufotografieren, und dem Leser zu präsentieren.
Als Antwort auf die Frage: Warum schreiben? bleibt letztendlich nicht viel mehr als diese Antwort: „Weil man nicht einfach so dahinleben kann.“ Eine doch eher dürftige Aussage.
So nachvollziehbar und geschickt angeordnet die Motive sind, fragt sich die einfache Leserin doch, was das alles soll. Was sagt das aus? Wo wollen diese Aussagen hin? Um einfach nur zu unterhalten, ist es zu viel. Um wirklich etwas zu bedeuten, zu wenig. So dreht dieses Buch seine Kreise auf der glatten Fläche eines zugefrorenen Teiches. Und dreht sich. Und dreht sich im Kreis um sich selbst.
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