Eine zweite Geburt
Im Frühjahrsprogramm 2019 des Sujet Verlags erscheinen gleich zwei Bände mit syrischer Lyrik von einer Dichterin und einem Dichter, deren Werk man bislang auf Deutsch nur in Anthologien fand.
„Gedächtnishunde“ heißt der erste auf Deutsch erscheinende Lyrikband des syrischen Dichters Ramy Al-Asheq, übertragen von Lilian Pithan, die ebenso wie Monika Rinck ein Nachwort beigesteuert hat. Al Asheq „entwirft Bilder, die beides sind: einladend und verstörend und auf phantasmatische Art sehr genau“, schreibt Rinck, und das bringt die Gedichte ganz gut auf den Punkt. Um den Krieg geht es, den syrischen, aber auch den Krieg allgemein, den der, der ihn erlebt hat, nie hinter sich lassen kann – ebensowenig wie die Liebe, in die sich der Krieg hineinfrisst, unaufhaltsam. Und um das Erinnern geht es zwangsläufig, ein Erinnern, das die Frage nach der Existenz des Jetzt mit sich bringt. Wie kann das Jetzt ohne das Vergangene existieren? Kann es natürlich nicht. Es ist von ihm geprägt, durchdrungen.
„Der Tod war kein Zufall / Wir gingen gemeinsam / Auf zwei verschiedenen Wegen / Und es war kein Zufall / Dass wir uns nie getroffen haben“, heißt es in einem Gedicht, während in einem anderen dem Krieg, dem Leid und Elend alles Zufällige genommen wird. Ist also alles vorherbestimmt, jeder Weg vorgezeichnet? Zwischen den Versen voll drastischer, aber auch ungemein sensibler Bilder, steht etwas anderes: Eine Frage. Viele Fragen. Fragen, die sich vor den Gedächtnishunden zu verstecken suchen: „Sie hinterlassen ihre Signatur / Hier zogen vorbei die Gedächtnishunde“.
Ramy Al-Asheq nahm selbst an dem friedlichen bürgerlichen Protest gegen Diktator Bashar Al-Assad teil, der sich wenig später zu einem verheerenden Krieg auswachsen und Syrien zu einem Spielball globaler Macht- und Militärinteressen machen und die ursprünglichen Reformambitionen der Syrer hinwegfegen sollte. Lange bevor das geschah wurde er verhaftet und zum Glück wieder freigelassen, bevor Assads Schergen unter den politischen Gefangenen Massaker anrichteten. 2014 kam er nach Deutschland, als Stipendiat des Heinrich-Böll-Hauses Langenbroich. Seither erhielt er weitere Stipendien, seine in mehrere Sprachen übersetzte Lyrik wurde mit Preisen ausgezeichnet.
Für die vorliegende Sammlung wählten Autor und Übersetzerin aus diesem Werk Texte aus, die sich zu Übertragung ins Deutsche eignen – überwiegend freie Verse und Prosagedichte ohne Reim oder strenge Formen. Lyrik aus dem Arabischen zu übertragen, ist weit aufwändiger als aus vielen anderen Sprachen. Über den Prozess, Formulierungen und Nachdichtungen, schreibt Pithan in ihrem Nachwort, während Rinck den Gefühls- und Bilderwelten von Ramy Al-Asheqs Lyrik nachspürt.
Auch Widad Nabi war 2011 auf der Straße, forderte Reformen, kritisierte das Regime in Zeitungsartikeln. Zwei Jahre lang harrte sie ach Kriegsausbruch im von Regimetruppen und Islamisten umkämpften Aleppo aus und musste aus der Ferne beobachten, wie die IS-Terroristen ihren Geburtsort Kobani an der türkisch-syrischen Grenze überrannten, während Erdogans Militär tatenlos zusah und so deutlich demonstrierte, wem seine Sympathien gelten.
Inzwischen lebt Nabi in Berlin, wo sie 2014 ankam, schreibt für den Spiegel, die Zeit und weitere deutsche Medien. Mit „Kurz vor dreißig … küss mich“ erscheint in der Übertragung von Suleman Taufiq nun erstmals eine Sammlung ausgewählter Gedichte auf Deutsch. Und auch wenn Stil, Bilder und Ton sich erheblich unterscheiden, ist es doch verblüffend, wie sehr sich die Gedichte von Ramy Al-Asheq und Widad Nabi inhaltlich ähneln. Auch bei Nabi steht der Krieg im Vordergrund, das Erinnern, der Verlust und die Frage, wie man weiterleben, mit all dem umgehen kann. Auch sie schreibt Liebesgedichte, erotische Gedichte, die stellenweise immer wieder symbolisch den Krieg aufgreifen, dabei aber eine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit einerseits, nach Selbstbehauptung andererseits transportieren.
„Es ist unwesentlich, / meinen Namen als Dichterin zu nennen, / die Poesie in einer silbernen Sprache schreibt / oder ihre Gedichte vernachlässigt wie die Dokumente / in einem Amt, / die zur Vernichtung freigegeben werden, / solange die Liebe in meinem Herzen wie ein alter Hund stirbt“, heißt es in einem Gedicht, und in einem anderen: „Diese Zärtlichkeit entspringt aus den grausamsten Dingen, / unerklärbar, / wie die Poesie. // Nach dem Krieg / werden wir alle diesen Schmerz vergessen, / und beim Weinen die Ruinen anlächeln.“
„Vielleicht ist das Exil wie eine zweite Geburt für sie“, vermutet Übersetzer Taufiq im Nachwort. Und vielleicht – oder hoffentlich – sind auch diese Gedichte, deren deutsche Übertragung wir diesem unerträglichen Krieg verdanken, so etwas wie eine Geburt. Ein Anfang. Nicht nur für die Lyrik und jene, die sie lesen...
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