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Kritik

Hier kommt keiner so einfach raus

Hamburg

Am liebsten wäre ich ein Astronaut, singen Element of Crime, um zu Sternen zu fliegen, auf denen „nichts vertraut und versaut ist durch eine Berührung von dir“. Groll und Melancholie gehen nicht nur in den Liedern der Berliner Band eine Verbindung ein, sind sie auch präsent in Astronauten, dem Roman von Sandra Gugić. „Gott ist ein Astronaut“, sagt Zeno.

Ein Sommer in der Stadt, die Langeweile, die sich zähflüssig ausbreitet, gegen die ein „Kommt schon!“ nicht wirklich hilft. Sechs Menschen treffen wie beiläufig aufeinander, zufällige Begegnungen, erhoffte Wiedersehen. Söhne, Väter, die wiederum Söhne sind, und ein Mädchen. Jeder von ihnen wirkt losgelöst, hadert mit oder hasst die Herkunft, hat Angst vor einer Zukunft, die er vermutlich nur eingeschränkt hat. Anfangs stehen die Jungen im Park und schauen dem Treiben eines Abschlussballs zu, den sie niemals haben werden. „Der Sommer ist ein Arschloch“, sagt Zeno. Sie kreisen um sich selbst, kreisen um das Mädchen, das wiederum um die Männer kreist. Astronauten, Trabanten, Satelliten - mit diesen außerirdischen Metaphern kann man die Personnage am ehesten fassen. Wie echte Menschen sind sie abstoßend, brutal, melancholisch, gestört, liebenswürdig. Die letztere Eigenschaft ist Gugićs einfühlsamer Perspektive geschuldet. Jede Person tritt abwechselnd auf und spricht als Ich. Ich als Freund. Ich als Tochter. Ich als Patient. Ich auf Streife durch die Stadt. Ich, der auf Passanten zielt. In einem Interview mit Andy Warhol’s Interview bewundert Gugić „die klare Sprache, die Härte und Zartheit“ der Romane der französischen Schriftstellerin Christiane Rochefort. Diese Härte und Zartheit der Beobachtung, der Sprache und Charakterisierung findet in Astronauten deutlichen Ausdruck.

Verlassen die Personen ihre Isolation und beginnen umeinander zu kreisen, kreist der Text wie ein Satellit um eine Tat, die irgendwo als rettendes Raumschiff oder schwarzes Loch aufscheint. Wirklich deutlich wird sie nicht. Motive gibt es, Tatwaffen. Sogar ein Geständnis: „Ich wars“ (ausgesprochen von wem, verrate ich nicht). Alle Indizien sprechen für diese je nach Perspektive rettende oder schockierende Tat, aber was sie nun wirklich ist, bleibt unbenannt. Schemenhaft.

Die Stadt hat keinen Namen, ist nicht erkennbar. Eine Stadt mit Casino, Theater und Stiegenhäusern. Die Namen Zeno, Darko, Alen, Mara, Niko, Alex weisen nach Osteuropa, in eine andere Herkunft, Sprache, das Dorf, wo die Großeltern leben. Als Nebenfiguren tauchen weitere Namen wie Vlatka Cibula oder Gou auf. Kroatien, Serbien, Russland, Asien scheinen auf. Aber nicht um irgendeine Suche nach Identität zu beginnen. Die Identität hat sich längst aufgelöst, ist verstädtert, ist dieser sommerliche Brei, von dem die Astronauten sich nicht lösen können, so sehr sie wollen. Flucht heraus unmöglich. Die Anziehungskraft des Breis ist groß.    

Die „Berührung von dir“, ist es der schnelle Fick, das Gespräch beim Therapeuten oder die Erlösung durch eine Umarmung, auf die sie warten, die sechs Hauptpersonen aus Astronauten? Ist es etwas, was die Schutzanzüge aufreißt? Endlich ausreißen, endlich anfangen, endlich diesen Text zu Ende schreiben.

Sandra Gugić
Astronauten
C.H. Beck
2015 · 199 Seiten · 18,95 Euro
ISBN:
978-3-406-67370-2

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