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Kritik

Nicht auf die perfekte Welle warten

Hamburg

In dem Jugendbuch Das Leben spielt hier von Sandra Hoffmann trifft die damals siebzehnjährige Ona bei einem Campingurlaub am Meer auf den Surfer Pe (eigentlich Peer). Obwohl Pe kein Interesse an Ona zu haben scheint, fühlt sie sich zu ihm hingezogen und spürt sofort, dass er etwas mit sich herumträgt.

Der Junge konnte zuhören, das sah man, er konnte konzentriert sein, er konnte still sitzen. Wenn kein Wind ging, verdeckten seine Haare den Ansatz der Mondsichel an seiner Schläfe, und er sah vollkommen unbeschädigt aus, obwohl Ona wusste, dass er es nicht war.

Es ist die Narbe an Pes Kopf, die Ona vermuten lässt, dass er wie sie in der Vergangenheit etwas erlebt hat, das beide bisher nicht richtig verkraftet haben. Bei Ona ist es der plötzliche Herztod ihrer Mutter vor vier Jahren und bei Pe, als er fünfzehn war, ein Autounfall mit seinem älteren Bruder Dani, bei dem dieser stirbt und Pe schwer verletzt wird. Weil Dani betrunken und bekifft war, geben Pes Eltern ihm die Schuld, dass er ihn nicht vom Fahren abgehalten hat.

Aber auch Pe selbst gibt sich die Schuld, diesen Unfall und somit den Tod seines Bruders nicht verhindert zu haben.

Ich habe alles getan, alles, was ich konnte, dass er nicht losfährt. Aber ich habe es nicht geschafft. Und er spürt, wie seine Stimme nachgibt.

Ona hingegen gibt Dani die Schuld an dem Unfall, bei dem auch Pe hätte sterben können. Eine Zeit lang hatte sie auch gedacht, wenn ihre Mutter nicht so leichtfertig über gelegentliche Schwindelgefühle hinweggegangen wäre, könnte sie vielleicht noch leben. Aber bald versteht sie, dass es keinen Sinn macht, ihr das vorzuwerfen.

Und sie hörte, dass der Arzt sagte, dass Mama wahrscheinlich keine Schuld habe, dass sie vermutlich im Vorfeld nie etwas bemerkt habe. Höchstens mal einen Schwindelanfall. Und wie Ona dachte, dass Schuld ein merkwürdiges Wort war, weil Mama wollte bestimmt nicht sterben.

Und dann ist da noch Kriedel, ein fünfzigjähriger Buchhändler, der alle Bücher über Surfen in den Regalen stehen hat und der bedauert, es bisher nie probiert zu haben. Auch er hat eine traurige Vergangenheit. Er vermisst seine Freundin Matilda, die nach Spanien gezogen ist und sich nie mehr gemeldet hat. Mit ihm schaut Pe oft Filme über das Surfen, gemeinsam bewundern sie die Stars.

Hey, sagt Kriedel, jetzt müsst ihr hinschauen, das Set kommt!
Dieser Medina paddelt die Welle an, und wie leicht er aufs Brett gleitet …

Kriedel ist es aber dann auch, der weiß, worauf es ankommt, wenn er im richtigen Moment den Film ausschaltet und die Gedanken seiner jungen Freunde auf den Punkt bringt.

Schuld, sagt er, das ist ein kompliziertes Thema.

Und ein paar Zeilen weiter:

Und obwohl vor allem Peer und seine Eltern wütend sein könnten auf ihn und dürften, haben sie auch die große Aufgabe, ihm zu verzeihen. Zu vergeben.

Es geht also in dem Jugendbuch um große Themen, um Schuld, Verzeihen, darum, was im Leben wichtig ist, um die erste Liebe. Dies alles ist nicht mit erhobenem Zeigefinger erzählt, sondern mit einer Leichtigkeit, die unter anderem durch das immer wieder auftauchende Thema Surfen kommt. Auch sprachlich versetzt sich die Autorin in die Welt dieser Jugendlichen, verändert manchmal Satzbau und Grammatik. Wobei ich anhand der Sprache anfangs dachte, die beiden Jugendlichen wären jünger als sie tatsächlich sind. Denn am Ende des Buches sind Ona und Pe ja junge Erwachsene.

Sandra Hoffmann zeigt den jungen Lesern Wege auf, wie man Probleme bewältigen und den Blick nach vorne richten kann. Dies wird besonders im zweiten Teil des Buches deutlich, wenn die drei in Kriedels VW-Käfer nach Spanien fahren, um Matilda zu suchen. Die Landschaft, die salzige Luft, das Meer mit Wellen, die sich aufbäumen. Alles sieht so leicht aus, denkt Ona, während sie in der Pension des unkonventionellen Paars Polina und Levi wohnen. Zum ersten Mal kann sie sich vorstellen, mit Pe zusammenzuwohnen.

Kriedel versucht zu surfen. Obwohl es ihm schwerfällt und er kein einziges Mal auf dem Brett stehen bleibt, hat ihn die Erfahrung verändert. Er traut sich etwas.  Da ist es nur logisch, dass er seine Matilda findet. Das Leben spielt hier.

Sandra Hoffmann
Das Leben spielt hier
empfohlen ab 13 Jahren
Hanser Verlage
2019 · 160 Seiten · 15,00 Euro
ISBN:
978-3-446-26433-5

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