Eine poetische Annäherung an die Unbeschreiblichkeit von Verlust
Der Tod eines geliebten Menschen ist wohl immer unverhofft. Es gibt keine Vorbereitung darauf. Vor allem, wenn wir jung sind und glauben, dass uns das Leben noch lange nicht genommen werden kann. Sina Pousset hat ihren ersten Roman dem Verlust gewidmet. Die Sprache, in der sie ihre Geschichte erzählt, sticht durch ihren Rhythmus hervor. Sanft will man diesen Roman nennen. Dabei ist ihre Sanftheit nicht mit fehlender Konfrontation oder gar Härte zu verwechseln. Ihre Figuren leiden, ihre Figuren streben nach Glück und oft sind ihre Figuren vom Leben überfordert. Die Sanftheit ergibt sich mehr aus dem Tempo, aus den langsamen, zuweilen verschwommenen Sätzen und Bildern, in denen sie erzählt. Pousset geht auf die Suche nach einer Stimmung, mehr noch als dass sie erzählt. So ist “Schwimmen” auch weniger das Portrait einer Generation, oder eine Geschichte über die Figuren, die in diesem Roman handeln. Der Roman lässt sich besser als das Stimmungsbild dreier Menschen greifen, von denen einer viel zu früh stirbt und zwei Menschen zurücklässt, die für diesen Verlust keine Antworten haben.
Milla und Jan verbindet eine Freundschaft, die tief in ihre Kindheit zurückreicht. Diese Freundschaft ist so tief, die beiden einander so vertraut, dass sie einander zur Familie geworden sind. Die Familie des jeweils anderen ist ihnen nah, die Entwicklung des jeweils anderen zu einem großen Teil irgendwo auch die eigene Entwicklung. Jan, aus besserem Hause, groß, hellhäutig und -haarig, hat eine starke Gravitation im Roman. Er ist das Zentrum, um das sich Milla dreht, auch wenn es ihr nicht immer bewusst ist. Sie ist zu ihm hingezogen, sie kennt seinen Geruch und liebt ihn auch für seine Schwächen. Über ihre Schulter hinweg schauen wir auf die Welt des Romans. Sie selbst ist ein Kind der Mittelschicht – und hier verläuft der erste Graben zwischen den beiden, hier lässt der Roman einen ersten Konflikt aus. Jans Privileg durch Geschlecht und Klasse wird herausgestellt, aber nicht hinterfragt. Er ist das Zentrum einer Welt, in der er unfreiwillig in einem Machtverhältnis steht. Dieses Verhältnis wird nicht thematisiert, es schwingt leise mit, bricht aber nie aus. Milla knabbert unterbewusst an diesem Bruch, aber auch sie artikuliert ihn nicht. Die pastellfarbene Sprache und ihre Suche nach der Textur der Trauer, gehen damit zuweilen auch auf Kosten der Komplexität der Figuren. Die Geschichte lebt nicht von ihrer Handlung, sie lebt von den Emotionen und Stimmungen, die den Text vorantreiben. Die Dramatik des Texts ist eine Dramatik der inneren Prozesse, nicht eine Dramatik der Interaktionen mit der Welt.
Vier Jahre vor dem Jetzt im Roman stirbt Jan während eines Ausflugs an die Ostsee. Er hat das plötzliche, dringende Bedürfnis in das Haus seiner Großmutter zu fahren, in dem er so oft mit Milla zusammen war. Seit einem Streit zwischen den Eltern und der Großmutter waren sie dort nicht mehr. Es gab keinen Abschied von diesem Haus, keinen Abschied von den Erinnerungen. Er kommt nach Berlin und holt Milla ab. Allerdings kommt er nicht alleine – er bringt jemanden mit. Kristina ist nicht wirklich Jans neue Freundin, aber sie ist es auch nicht nicht. Die Beziehung zwischen den beiden ist vertraut, aber zugleich auch neu. Milla kommt nur schwer damit zurecht. Wer ist dieser neue Mensch, der sich in ihr Leben drängt und jetzt plötzlich an alten Erinnerungen teilhat? Dieser Mensch passt nicht in das Leben zwischen Milla und Jan. Dieser Mensch fasziniert Milla jedoch zugleich. So wird Kristina zu einer Schlüsselfigur zwischen Milla und Jan, die sich durch sie ihrer Zuneigung füreinander bewusster werden. Sie bricht die gewohnten Muster zwischen den beiden auf. Sie ist das Dritte, das Wilde, in der Beziehung zwischen Jan und Milla. Ihr Auftritt bringt Veränderung, die Unumkehrbar wird. Dann stirbt Jan, während er im Meer schwimmt und die Veränderung nimmt eine Wendung, die keiner sehen konnte. Jetzt ist Jan verschwunden – zurückgeblieben sind Milla und Kristina, in einer Intimität, die sie vorher so nicht provoziert hatten. Der Verlust schweißt die beiden zusammen, sie werden Freundinnen, unweigerlich. Doch jede von ihnen hat ihre eigene Art zu trauern. Während Milla sich in das Leben stürzt, eine Karriere anfängt und sich mit Verantwortung überhäuft, rennt Kristina weg. Sie lässt sich in eine Psychiatrie einweisen. Sie geht sogar so weit aus ihrem eigenen Leben, dass sie ein Kind, das sie von Jan erwartet hat, bei Milla lässt. Sie zieht Jans Kind groß, als wäre es ihr eigenes, während Kristina sich von der Welt abschottet.
Die Dramatik des Romans auf der Handlungsebene wirkt zuweilen überzogen. Die Motivationen der Figuren sind zuweilen unklar, ihre Handlungen wirken dadurch überzogen und sind oft schwer nachzuvollziehen. Sie werden dadurch zu Skizzen, die wir nur in einer Momentaufnahme sehen und selbst diese ist gefiltert. Gerad die Nebenfiguren sind auf wenige Eigenschaften beschränkt, nicht ausgekleidet und dadurch fast ein wenig mechanisch. Diese Schwäche gleicht der Roman durch seine Sprache aus. Die Lust an der Beschreibung und die Freude am Malen von Stimmungen, die der Text an den Tag legt, tragen den Roman und geben ihm seine Spannung. Um ein Beispiel zu geben: Die Beerdigung von Jan sehen wir wie durch einen Schleier durch Millas Augen. “Der Pfarrer, der Jan nie kannte, spricht: Er war. Jan ist jetzt Präteritum. Mein Beileid, Worte fallen wie Steine.” – so beschreibt der Text Millas Schockzustand nach dem Tod, der die Beerdigung zu einem unbegreiflichen Ereignis macht. Die Trauer will noch nicht einsetzen. Sie kann noch nicht einsetzen. Ein paar Zeilen später heißt es, dass keiner den frühen Tod von Jan fassen kann: “Deswegen halten sie sich fest an Ritualen.”
Die Beobachtung der Realität gelingt dem Roman in kleinen konzentrischen Kreisen. Intelligente Beschreibungen, die unsere Gegenwart auseinandernehmen, funktionieren hier auf engstem Raum. Auch wenn die Handlung selbst nicht ganz überzeugt, ist es die Stimme des Texts, die ihn stark macht. Sina Pousset gelingt eine poetische Annäherung an die Unbeschreiblichkeit des Verlusts.
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