Eine Taube ist eine Taube
Das sind Gedichte, die sich sanft aneinanderlegen, wie Kinderwangen im Gras, an denen manchmal ein Käfer sehr nah an Haut und Augen vorbei kriecht. Das sind Gedichte, die an der Erfindung einer einfachen Sprache teilhaben und dies mit einer undramatischen Geste tun, als sei noch kein Ding besungen worden, als gäbe es kein Gedicht vor diesen. Darin liegt ihre Erklärung.
Die Poetik der Dinge, denen diese Gedichte folgen, ist schon auf den ersten Seiten des Bandes klar ausgebreitet und explizit benannt: „Eine Taube ist eine Taube ist eine Taube.“ – dass ein solcher Satz nicht ohne imaginären Warnblinker dastehen kann, ist klar. Die Sprache als ein eigenes Ding, die Gedichtsprache als ein nächstes, darunter die Dinge, ganz ohne metaphorische Rahmung. Die Taube, die Taube, die Taube. Die Rose, die Rose, die Rose. Darin erscheint auch eine Art Dreifaltigkeit. Und der sakrale Anklang ist nicht unbegründet:
Ich glaube an die Dinge
die mich umgeben.
Dass diese Dinge aufgerufen werden, scheinbar noch ohne festen Ort in der Sprache, noch ohne Bestimmung, oft ohne Artikel, der eine Festlegung erforderte. Und dass diese Dinge im Dreierpack erscheinen, prägt sich ein.
Die Stadt liegt vor dem Fenster
argwöhnisch, still, Abglanz
von Flughafen, Straße und Fabrik
auf euren Gesichtern.
Matte Monde, Wangen, Neon.
Flug ferner Sirenen.
Das Dichterbewusstsein, das sich schon im zweiten Gedicht klar wird: „dass es an mir ist, nach diesen Dingen zu sehen“, und dass diese Aufgabe in einem „Nahholen“ bestehen kann oder muss – dies alles formuliert sich in den ersten sechs Gedichten. Das ist stark. Es leitet den Blick für alles Kommende, macht es aber auch den folgenden Gedichten ein wenig schwer. Denn wo einmal das poetologische Programm ausgebreitet ist und die Einfachheit ganz offiziell regiert, kann die Einfachheit nicht mehr nur für sich sprechen, aus sich heraus Format werden.
Die „schulhausblassen Gesichter“ der Kinder, die Erinnerungen an die eigene Kindheit, die Unmittelbarkeit der jetzt im Gegenüber erscheinenden kleinen Gestalten – auch hier scheint die Ursprünglichkeit, das Erste und Einfache als wiederkehrendes Motiv wieder auf. Die Sprache, die sich auf die Dinge zubewegt und um sie herum, durch eine Natur, mit der Straßenbahn, zur Arbeit – denn es ist ja nicht so, als seien die Dinge nur einer unberührten Naturlandschaft entnommen. Es sind Gebrauchsgegenstände, kulturell geprägte Güter, die Thilo Krause wieder neu werden lässt, oder besser:
So lange verwandeln wir die Dinge zurück
in das, was sie sind – Tisch, Teller und Glas.
Denn da scheint auch eine romantische Idee auf, nur eine umgekehrte: Eichendorffs Wünschelrute – die singenden Dinge sind vor lauter Singen und metaphorischem Gerede stumm geworden und können nur in einer umgekehrten Richtung, zurück zu ihrer Sprachlosigkeit, wieder Geheimnis werden:
Ich ging und suchte nach Dingen
Kiefernzapfen, Ziegelscherben, Müll
die Flammen zum Klingen bringen:
inmitten von Hühnerdreck und Brennnesseln
eines der gewöhnlichen Orakel.
Frage und Antwort, argloses Spiel
um der Welt so viel Geheimnis abzulauschen
wie ich dachte, dass sie barg.
In „No hobo train“ untersucht Krause Fotografien von Mike Brodie (The Polaroid Kidd), begibt sich mit ihnen auf eine Reise auf Güterzügen durch Amerika. Die Gedichte vollziehen nicht die Reise nach, sondern die Bilder: Die Orientierung an den Fotografien als Motiv, aus dem die Sprache entspringen kann, ist klar markiert. Jedes der nummerierten acht Gedichte verortet sich neu und ruft die Dinge auf, wie vorher schon, nur dass sie im Rahmen dieser Reihe einen klar fassbaren Referenzpunkt haben. Und das Aufrufen geschieht im sprachlich einfachsten und damit wieder ursprünglichsten Sinne:
Hier ist eine Hose.
Leicht schwimmt sie obenauf
in der Wanne des Motels
voll milchigem Dreck.
Zuvorletzt wird die schwebende Ding-Bewegung von einzelnen sehr prägnanten Erzählungsminiaturen in Gedichtform aufgedeckt. „Profane Erweckung“ spielt mit dem Bild eines Mädchens im Hinterhof einer Fleischerei, das in der Erinnerung zum Initiationserlebnis des Ichs wird. In „Salon Wolf“ wagt sich eine Friseuse, deren Hände „alle Schädel kennen“, „nackt über Legenden von versunkenen Maschinen“.
Dass selbst nach diesen im besten Sinne lauten, sicheren Versen noch einmal der Ton gedimmt werden kann und ein Bild wie das Folgende immer noch, wieder funktioniert, liegt an der selbstverständlichen Einfachheit, mit der die Bilder in diesem Band aus der Profanität gehoben werden:
Ich höre dich atmen
sah deinen Brustkorb, der sich senkte und hob.Ich deckte dich zu.
Ich streckte mich aus.
Es ist ganz einfach, man lese dieses Buch!
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