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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Chamäleon mit Grundton

Hamburg

Timo Brandt hat sich in den letzten Jahren als Lyriker, als Mitherausgeber der JENNY, vor allem aber auch als unermüdlicher Rezensent in der Literaturszene hervorgetan. Seine Beiträge in diversen namhaften Literaturzeitschriften und u.a. auch für Fixpoetry werden von einem interessierten Publikum regelmäßig wahrgenommen; er hat sich mit seinen gerade einmal 27 Jahren bereits zu einer wichtigen Stimme im Diskurs entwickelt.

Nach seiner ersten eigenständigen Veröffentlichung, unter Jürgen Broĉans Ägide 2017 in der edition offenes feld unter dem beziehungsreichen Titel Enterhilfe fürs Universumerschienen, legt er nun bei APHAIA mit dem Titel „Ab hier nur Schriften“ nach.

Ob er von „Zungenglatteis“, „Schlafliedgräben“ schreibt oder Wendungen wie „Du und dein Leib. Wartender Pokal“ erdichtet, Timo Brandt hat den Mut und vor allem die nötige Phantasie zu kühnen Metaphern. Bei ihm kann man feststellen, dass es noch genügend unverbrauchtes Spielmaterial gibt, das Werbung und Alltagssprache noch nicht für sich in Anspruch genommen haben. Gleichzeitig scheut er weder End- und Binnenreim oder Assonanzen, das Ausprobieren vielfältiger traditioneller Lyrikformen noch mitunter auch eine gehörige Portion Pathos, wo es ihm angemessen erscheint.

Die Rasanz, mit der Stimme, Perspektive, Form und Sujet wechseln, erinnert an die klassischen Monty-Python-Überleitungen vom Schlage eines lapidaren „Und nun zu etwas ganz anderem“. Nichts wirklich Erwartbares kommt den Lesenden aus Timo Brandts neuem Gedichtband entgegen, und was ihnen entgegenkommt, ist in seiner Fülle erst nach und nach zu erfassen. Was vordergründig zunächst wie ein wild zusammengenähter Quilt aus lauter Fetzen, Zitaten, Sentenzen und Momentaufnahmen wirkt, entpuppt sich bei näherer Rezeption als feinfühlige und gleichzeitig nicht ohne Kühnheit komponierte Lyrik. Beim Lesen kann man sich des Gedankens kaum erwehren, dass dem Vielleser und Vielkritiker Timo Brandt alles Rezipierte und Rezensierte zu einem poetischen Materialstrudel wird, aus dem er selbst wiederum seine Fundstücke birgt, umformt, montiert und in den Strom des Lesens und Gelesenwerdens zurückwirft. Aber das bleibt letztlich sein Arbeits-Geheimnis, und niemand sollte Hermeneutik mit Spekulation verwechseln. Auf alle Fälle gebiert das Verfahren eben immer wieder sehr gelungene Verse, die vielleicht sogar so etwas wie das Motto allen guten Dichtens sein könnten:

„[...] Es gibt eine Absicht, doch auch die / hat sich ergeben. [...]“

Freilich verwirft er aufs erste Ansehen auch angestaubte Kalauer nicht:

„[...] 'Die Frage ist: was willst du gestalten?' / Also wirklich jetzt. / Blumentopferde, schreibt einer am Abend und wiehert los. Halt Urinstinkt. / Solch Hühnerei! / Der Pfarrer in Chemnitz schreibt ein sehr schlechtes Pamphlet. [...]“

Doch in ihrem Kontext erscheint die vermeintliche Entgleisung dann eher als Pose des Betrachters von außen, der obendrein „Tage ohne Engystol“, also ohne abwehrstärkende Mittelchen verbringen muss. Da kann so was schon mal passieren. Brandt ist immer nah dran am eigenen und am Puls der erlebten Zeit, ohne sich anzubiedern oder seine Gedichte zu geschmäcklerischen Fashion-Frettchen verkommen zu lassen.

Eine intensive Auseinandersetzung mit Rilke scheint ebenfalls stattgefunden zu haben, denn  an mehreren Stellen tauchen Verse auf, die den großen Dichter nicht nur paraphrasieren, sondern auch seinen Ton mit leiser Ironie aufnehmen und für die eigenen poetologischen Gedanken nutzbar zu machen verstehen:

„[…] Mancher Vers weiß kaum, wohin er führt; / keinerlei Bestimmung, ewig zu sein, / sondern als Eindruck zu strömen; strömend // ist doch ein Anteil Größeres entfaltet. / Ein Anteil, der fragt nach den Dingen. /[...]/ Denn da ist keine Stelle, die nicht etwas sieht. Nichts / ist leer, / alles / ist offen. [...]“

So erscheinen auf dem Laufband der Poesie neben dem archaischen Torso auch Timo Brandts mitunter rotzig und spoken-word-mäßig hingeworfene Zeilen, Barock-Vanitashaftes in postmodern umspülten Terzinen, Elegien, denen das E abhandengekommen ist, allerlei Kryptisch-Verhauchtes, aber auch so wunderbare, unverstellt leichte Einfälle wie dieser:

„[...] ich wär nur gern // ein Handtuch, um einmal zu trocknen, / einmal den Zustand verändern zu können, / in dem sich ein anderer Mensch befindet – ohne / dass ich mich dazu veräußern oder in ihn dringen / muss.[...]“

Auch an große Schreibende wie Kaléko und Mayröcker gerichtete Gedichte finden wir als Lesende, die deren Ton und Formensprache spielerisch aufnehmen. Aber ganz gleich, ob Brandt nun Suaden, Natur- und Liebesgedichte, Widmungen an Menschen aus seinem privaten Umfeld, an DichterInnen der Gegenwart und der Vergangenheit oder gar auf einen kleinen weißen Hund zu Papier bringt: durch all die entlegenen stilistischen Schwingungen und Zitate schimmert immer wieder unverkennbar ein poetisches Rückgrat, ein Ostinato der Ernsthaftigkeit, des Sich-Bekennens zur nicht enden wollenden Suche, das dieser oft chamäleonhaft anmutenden Lektüre innewohnt. Vielleicht ist Timo Brandts Sprache gerade das ungebändigt Polyphone, das sich nicht auf eine bestimmte Art etwas zu sagen festlegen lassen möchte. Wie sich das weiterentwickelt bleibt durchaus mit gespannter Neugier abzuwarten. Nicht wenige seiner Texte sind relativ lang, erstrecken sich über zwei und mehr Seiten. Und doch sind es vor allem die kürzeren Gedichte, die am stärksten zu wirken verstehen, die ihren semantischen Gehalt nach und nach zu einer poetischen Essenz werden lassen:

„Kleine Titel // Weil es eher ein Einhalten / als ein Aufbrechen sein wird, / wenn du gehst von dem Fest, / das in den letzten Zügen liegt. // Zu leicht für die Musik / und das sterbende Feuer, / die Gewichte innen. // Ein Freund ruft die ein Lebewohl / hinterher. Und die Stille danach // sie gehört ganz dir.“

Timo Brandt
Ab hier nur Schriften (Mitlesebuch 146)
Nachwort: Matthias Engels
APHAIA Verlag
2019 · 70 Seiten · 9,90 Euro
ISBN:
978-3-946574-08-8

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