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Kritik

An die Zukunft denkt niemand mehr

Zu Amir Hassan Cheheltans Essaysammlung „Teheran Kiosk“
Hamburg

„In Iran ist sogar Nachdenken verboten“,

schreibt Amir Hassan Cheheltan in einem der zum Glück oft sehr nachdenklichen Essays, die seit 2004 in der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erscheinen. Nun liegen sie erstmals gebündelt unter dem Titel „Teheran Kiosk“ vor. Eine Chronik Irans der letzten zwölf Jahre. Die letzten Amtsmonate des gescheiterten Reformpräsidenten Mohammed Chatami, der acht Jahre währende Ahmadinejad-Alptraum, von Verstrickungen internationaler Politik über das Gezerre um das iranische Atomprogramm und die brutale Niederschlagung der „Grünen Welle“ im Jahr 2009 bis heute.

„Teheran Kiosk“ heißt ein Buch, dessen Essays allesamt in Iran selbst nie erscheinen konnten. An Teheraner Kiosken herrscht die harte Hand der staatlichen Zensur, Propagandamedien liegen aus neben wenigen halbwegs unabhängigen Zeitungen und Magazinen, über denen stets das Damoklesschwert des Verbots schwebt. In Zeiten, in denen sich die Türkei in eine ähnliche Richtung bewegt, lohnt es, diese Beiträge zur Zeitgeschichte wieder zu lesen.

Cheheltan, Jahrgang 1956, ist einer der bekanntesten iranischen Gegenwartsautoren. Mehrere seiner Bücher erschienen ungekürzt bislang nur auf Deutsch. Sein Roman „Iranische Dämmerung“ (München 2015) wurde 2007, zwei Jahre nach Erscheinen, vom iranischen Kulturministerium als „Buch des Jahres“ ausgezeichnet. Dasselbe Kulturministerium hatte zuvor zahlreiche Passagen gestrichen. Cheheltan lehnte den Preis ab. Die Antwort der Beamten: Er könne nicht ablehnen, schließlich erhalte nicht der Autor die Auszeichnung, sondern das Buch. Ähnlich erging es Mahmoud Doulatabadi, dessen Roman „Der Colonel“ (Zürich 2009) ebenfalls der Zensur zum Opfer fiel. Die Zensoren sagten damals: Das Buch ist ein Meisterwerk, aber erscheinen darf es nicht. Zumindest mit der ersten Hälfte der Aussage hatten sie Recht. Die Erstausgabe erschien auf Deutsch, die Originalfassung kursiert im Internet und auf den iranischen Schwarzmärkten.

Um Zensur geht es oft in Cheheltans Texten – und um ihre Umgehung. In Iran, sagt er, bekommt man alles, was man will, auch verbotene Bücher. Und das Alkoholverbot lässt Apotheken florieren, denn medizinischer Alkohol ist erlaubt. Die Auflagen offiziell publizierter Bücher und Zeitungen hingegen sind im Keller. Das mag daran liegen, dass Iran das Copyright-Abkommen nicht unterzeichnet hat und daher alles Interessante schnell kopiert wird – aber auch daran, dass ohnehin jeder davon ausgeht, Zensiertes oder Propaganda sei der Lesemühe nicht wert.

Aber es geht nicht immer nur um Politik. Cheheltan gibt auch Einblick in den Alltag der Multimillionenmetropole Teheran, in die kleinen und großen Absurditäten des iranischen Alltags. Aus allem spricht eine beklemmende Resignation. Die Hoffnung, dass sich etwas ernsthaft zum Guten wendet, scheint nach dem erfolglosen Protestsommer 2009 im Zuge der Wahlfälschungen, die Ahmadinejad eine zweite Amtszeit bescherten, verflogen zu sein. Die einen ziehen sich ins Private zurück, die anderen verlassen das Land, und wieder andere versuchen, sich dem System anzupassen. Übrigens auch das allesamt Bewegungen, die man im Ansatz schon in der Türkei erkennt, die von ihrem Präsidenten rasend schnell zur Diktatur umgebaut wird. In Iran war es eine Revolution aus dem Volk heraus, die 1979 das Shah-Regime stürzte. Auf den Straßen kämpften Kommunisten und Islamisten Seite an Seite. Die einen wurden unmittelbar nach dem Umsturz verhaftet, gefoltert, getötet – aber auch von den anderen ist kaum mehr jemand übrig.

Auf die Frage, ob der Atomdeal, die Aufhebung des Embargos, die Öffnung nach außen langfristig zu positiven Entwicklungen führen könnten, geht Cheheltan gar nicht erst ein. In Iran, sagt er, denkt man nicht mehr an die Zukunft.

Amir Hassan Cheheltan
Teheran Kiosk
2004 bis heute
Aus dem Persischen von Susanne Baghestani, Farsin Banki, Kurt Scharf und Jutta Himmelreich
P. Kirchheim Verlag
236 Seiten · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-87410-137-0

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