Kugelgeister, Kreuzweglachen
Mit einem gewaltigen Motto setzt dieses Buch ein, einer ungeheuerlichen Stelle Ingeborg Bachmanns: „… was wahr ist, schafft nicht Zeit, es macht sie wett. […]“ Mit der Wahrheit der Erde einen Scheitel ziehen, dieses Credo der großen Vorgängerin Andrea Grills gilt auch für die neuen Texte der Wahlwienerin, die, an und für sich für ihre – und mehrfach geehrten – Romane bekannt, mit „Safari, innere Wildnis“ nach „Happy Bastards“ (2011) ihren zweiten Gedichtband im ehrwürdigen Otto-Müller-Verlag vorlegt.
In der Dichtung, wenn man sie ernst und nicht einzig als Spielform hinnimmt, ist es so, dass man nicht lügen kann – die Tatsache verbindet alle Ernsthaften und Obsessiven des Metiers, sei es im hohen oder im liedhaften Ton. Das ist es auch, was sich Andrea Grill in ihrer neuen Lyrik vornimmt. Die „innere Wildnis“, die die „Safari“ im zweigeteilten Titel des Buches nah an den Leib und den Solarplexus der sprechenden Stimmen legt, verweist dabei nicht nur auf eine ernste, aber eben auch im Spiel noch konzentrierte Komponente dieser Erwägung. Sie lässt die Vermutung aufkommen, dass es sich hierbei nicht einzig um leichtfüßige Ausritte handelt, wie das Kritikerecho womöglich impliziert, die das Behände der Grill’schen lyrischen Sprache liebt und das bisweilen wie Cirrocumuli gesetzte Parlando dieser Worte.
Tatsächlich ist die Hand, die im ‚Zwinkern des Lebens‘ mit feiner Geste „Bedeutungen und Deutungen“ (Doreen Daume) verschiebt, nicht selten (und darin ja der Aufgabe von Lyrik gemäß) als um ‚Grip‘ ringend zu deuten. In der Tat, das an einigen Stellen leicht Gesagte entpuppt sich beim zweiten Blick als schwer und bedeutend; nicht wenige dieser „Safari“-Gedichte stehen in einer Zwiesprache mit oder in der Ansprache eines Gegenübers, es wird über das Schöne und Besondere dieses inneren Gesprächs (oder, je nachdem, Schweigens) gesprochen, gleich im zweiten Text des Eröffnungszyklus „So ist das“ findet sich die treffende Stelle, in der Mitte, im Zentromer des Textes: „hellgrün aus der Nähe gefiedert / mit Nadeln bestückt stehen wir / wo noch keiner gestanden hat / ein paar Schritte aus dem Licht“. Das Bild und die Bewegung sind richtigerweise ein Doppelbild und eine Doppelbewegung: zur Anmutung von Bäumen tritt der Drang, sich aus dem Licht, aus den Blicken zu bewegen (wie es Liebespaare, frisch aufeinander ‚angesetzt‘, tun, zum Beispiel) hinzu.
Überhaupt trägt das Buch eine, mal unterschwellig-kühl, nicht selten aber durchaus explizit, Liebes- und Sehnsuchtsmetaphorik, auch wenn sie von Kugelgeistern, Holz und Gezwitscher durchschwirrt sein mag; vereinzelt Abschiedsstimmung. Nichts Großes, mag man im Zeitalter des Köpfe-Abschneidens, Grexit-Verhandelns, der wiederentdeckten En-vogue-Propaganda denken … und doch letztlich oft das Wenige, das hält. Und: Das ins Große gedrehte Envoi der Klagenfurterin um das Wahre erfährt hier eine reizvolle Umkehr, eine reziproke Wendung, ohne an Bedeutung zu verlieren. Andrea Grill setzt, anders als die Bachmann, ihre Blicke (nicht die Worte) eher und durchaus bedacht ins Kleine, ins Sezieren eher des Moments als der Epoche, in das Dennoch und trotz allem Wirkmächtige kaum wahrnehmbarer Gesten gedreht. Behutsam geht die Dichterin mit ihren Stoffen um, zuweilen ins Wortkarge, ins Andeutungskarge wechselnd, zuweilen bis ins Verrätselnde.
Grill, studierte Entomologin und also per se Erforscherin des ‚Großen im Kleinen‘ … die die sardischen Schmetterlinge liebt, so sehr, dass ihnen ihre Doktorarbeit gewidmet hat, erkundet das Bedeutsame gleichsam der Nano-Bereiche, erwägt hier die ‚innere Wildnis‘ dessen, was geschieht, wenn Verluste eintreten, zwei sich ineinander spiegeln und diese Spiegel – durch Nähe oder Entfernung – wieder zu erblinden drohen oder auch nur ihre „Metamorphose“ imaginiert und befürchtet wird: „beim Hinaufgehen zählen wir unsere Wunden / an Flecken auf gelben Ahornblättern / jedem wächst die Ferse des Achilles woanders“. Okay, darüber zwitschert es wieder, singt und summt, es duftet und netzen die Sinne, es hustet darüber „wie leicht krank“, es sichert die Taxonomie.
Zugegeben, es gibt sie, diese Grill’sche Leichtigkeit, die der Tiefe folgt: „mit dir teilen wollte ich; das Gewicht eines gestreiften Bademantels / einen Ärmel trüge ich / einen du“ (so in der fünften „Metamorphose“) – indes wird sie sofort und im nächsten Zyklusteil konterkariert: „nie mehr Zähne putzen / deine Anwesenheit dort, gestern, vor einem halben Jahr / für immer im Mund / halten (uns) voll Vertrauen (fest) / keiner von beiden beißt // du weißt manchmal als Einziger / mehr über mich selbst“. Das Schlichte der Existenz, ein solches Erklären von Zugewandtheit: zuweilen ist es nur um die Ecke zu schreiben.
Ähnlich die Rückbeorderung der Großmutter, in der sich Imaginieren, lindes Lamento und der dringende Antrag auf Resurrektion mischen: „küsse dich rechts / wo das Herzrot seit Jahren deine Wange beißt / versinke im Kakao / du rufst / dass man ihn trinken kann“, und: „komm gefälligst […] aus dem Reich der Toten!“ Das „Kreuzweglachen“ wird beschworen, die Lücke, die das Fehlen reißt, gelotet. Ein Buch, das man sich nach Möglichkeit mehrmals auf den Lesestapel legen sollte, da es bei jedem erneuten Studieren (den ganzen Band am Stück!) eine andere Art schimmerndes Herzrot und helle Tiefe gewinnt.
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