Insgeheime Anfälle von Glück
Wie sprachenarm wir letzten Endes sind! Halbwegs im Griff haben wir die ‚Muttersprache’, bestenfalls noch ein, zwei ‚Fremdsprachen’. Drei oder vier andere Sprachen verstehen wir darüber hinaus vielleicht brockenweise, auch eine oder zwei der sogenannten ‚toten’ Sprachen, derentwegen wir unsere nekrophile Ader entdecken, da sie im Grunde quicklebendig sind und uns anreden, als kämen sie aus dem Gestern. Wie viele Sprachen wir für einen lyrischen Über- und Durchblick lernen müßten, besonders auch europäische, zum Beispiel das Slowenische, zum Beispiel um die Gedichte von Anja Golob zu lesen! Dreizehn ihrer Texte liegen nun in einem der schwarzbemäntelten hochroth-Bändchen auf Deutsch vor, ausgewählt aus ihrem zweiten Band „Vesa v zgibi“ (2013), unter einem kongenial übersetzten Titel.
In den Gedichten von Anja Golob, Jahrgang 1976, finden sich behutsam verborgene, geschickt eingesetzte Elemente der Elegie, der Litanei, sogar des Liedes; sie sind sehr persönlich und nehmen sogleich wieder Abstand davon, um sich ins Allgemeine zu weiten, sie sind stocknüchtern und dann wiederum sehr zart, sind mal klug und verspielt, mal nachdenklich und mit einem Schuß absurden Humors versehen. Bei all dieser funkelnden Vielflächigkeit bleiben Golobs Gedichte stets überlegt inszeniert und folgen einer Rhetorik, die einzelne Beobachtungen nur so lange ins Rampenlicht stellt, wie es braucht, um realistisch klare Vorstellungen zu erzeugen, die ins Subjektive kippen, in die Innenwelten der Gefühle, Erinnerungen, Erfahrungen, Träume, so daß jede anfängliche Sicherheit früher oder später zu einer Unruhe- und Beunruhigungszone gelangt, weil zuviel Harmonie in die Nähe gefährlicher Idyllik führt. Auch ihre Gedichtschlüsse sind wohlgesetzt, in leiser Andeutung eines Plots, eines ‚summarischen Gedankens’, offen genug jedoch, damit Staunen und Nachdenklichkeit noch ausreichend Platz haben, um im Leser nachzuhallen.
Ein melancholischer Grundton unterliegt allen Gedichten des Bandes, auch dem zweiten, das sich mit einem der bekanntesten Suizide der Literaturwelt auseinandersetzt: „Der englische Gasherd ist wie ein Krematorium und Sylvia Plath / war sicher eine gute Köchin“. Die Funktionsweise dieses Gasherds scheint Aggressionen geradezu zu fördern, zumal er ein Symbol für erotische Gewalt darstellt, wie Golob besonders originell ausführt. Ihre Dichtung wird von solchen Hohlräumen und Leerstellen auch anderweitig angezogen, sie scheinen ein geheimes Leitmotiv zu sein: „Dort, wo das Kind das Kerbtier fing, / blieb eine flache Kuhle zurück.“ Selbst das wiederkehrende Thema des Gestern ist solch eine verwehte Stelle, ausgefüllt indes mit Hoffnung auf ein immenses Heute. Tatsächlich, diese Gedichte sind bei allem Pessimismus nicht schwarzgallig, sie suchen das leuchtende Dennoch im einbrechenden Dunkel.
Die Entfernungen, Unsicherheiten, Todesarten behandelt Golob in einer modernen Sprache, die nicht affektiert ist, nichts überstürzt, sich aber trotzdem getraut, die Dinge zu beseelen, und selbst vor dem traditionellen Gefühlsorgan Herz nicht zurückschreckt, ihm allerdings seine altbewährte metaphysische Dimension abspricht und zu einem Stück Fleisch macht, nicht ohne eine gehörige Portion Zynismus, der man das Bedauern über die verlorene Bedeutung anmerkt.
In die stummen Herzen der Blumen schreibe ich,
in die harzigen Stämme der Frühlingswälder,
in die Kronen tuschelnder Birkenalleen,
in geometrisch korrekte Schwarmkonturen unter Wolken,
heißt es einmal am Beginn eines Gedichts, den romantischen Tonfall aufgreifend, jedoch in der Emotion vollkommen authentisch, und zählt danach die unendlichen Einzelheiten des Alltags auf, wobei selbst religiöse und erotische Ebenen nicht ausgespart werden. „Ich fasse gierig alles“, bekennt die Autorin, nimmt dies aber sofort zurück, es sei nur „für eine ärmliche Leinwand“, und endet mit einem abgebrochenen Satz, der auf nie zu beendende Vollendung hofft. Auch wenn die Dichtung nicht omnipräsent ist, die Dinge selbst bleiben allgegenwärtig.
Ja, die Frühlinge brauchen dich wohl, wegen dir dreht sich
die Welt, gingen Augen jeden Morgen auf,
notwendig, nötig, unübersehbar —
doch auch hier hat sich dieses Gefühl bereits im Aussprechen wieder entzogen, denn es war „einmal, früher, vor langer Zeit“, ein Pendeln zwischen dem Wunsch, dem Erträumten, und der Erfüllung, des Vollzugs. Anja Golobs Gedichte halten diese Bewegung fest, um die Bedingungen des Menschen nüchtern zu erfassen, sich ihnen zu stellen und daraus ein Glück zu destillieren; sie laufen auf einen Glücksmoment hinaus, ein errungenes und keinesfalls selbstverständliches Glück, ein Wunder geradezu. Oder auf die Liebe, die Zärtlichkeit, bei und trotz aller unabweisbaren Desillusionierung.
„Was ist Glück“ — diese Frage steht am Ende im Raum, nach einer Aufreihung von Szenen, in denen kein Un-Glück passiert und die alltägliche Katastrophe ausbleibt. Daß es sich dabei um echte Glücksfälle handelt und nicht womöglich um eine Konstante des Universums, auf die wir uns berufen könnten, um nur kurze Augenblicke also und keinen Dauerzustand, deutet das Bild der Schaukel an, die sich aus jenen Gegenständen zusammensetzt, die nicht für ein Desaster verantwortlich sind — zumindest diesmal. Golob ist hier eines von etlichen perfekten Gedichten dieser viel zu schmalen Auswahl gelungen, das in seiner schlichten Größe in den unanfechtbaren Bestand der Weltlyrik aufgenommen zu werden verdient. Und das Slowenische, im Kreis europäischer Sprachen wohl nicht immer angemessen präsent, dürfte dank solcher Gedichte dauerhaft ins Bewußtsein rücken und die ‚Weltsprachen’ wegen ihrer oftmals zur Schau getragenen Überheblichkeit ermahnen.
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Kommentare
vermessen
An sich eine kluge Besprechung von hochinteressanten Gedichten. Nur: Kann bitte mal jemand etwas rezensieren, ohne das nervige Wort "vermessen" zu gebrauchen? Früher wurde permanent "ausgelotet", seit 15 Jahren wird nun alles "vermessen". Das gilt übrigens auch für die Klappentextschreiber in den Verlagen ...
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