Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Leinwandstar und Frau zum Pferdestehlen

Anjelica Hustons Autobiographie ist ein etwas enttäuschender Anekdotenreigen. Immerhin hält er einige Überraschungen bereit
Hamburg

Dieser Name mit seiner exotischen Schreibweise: Menschen, die weniger charismatisch sind als Anjelica Huston, könnte er zum Verhängnis werden. Dass wir uns ihren Namen aber merken können, ist natürlich auch ihrem hohen Wiedererkennungswert zu verdanken. Es hat ja durchaus praktischen Nutzen, Tochter und Enkelin zweier Hollywood-Legenden zu sein. Denkbar schlechtes Startkapital für eine Filmkarriere in Amerika ist indessen, nicht dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen. Meint man. Doch nicht nur wegen ihres Schauspieltalents, sondern auch dank ihrer markanten Gesichtszüge durfte Huston die Figuren spielen, die sie weltweit bekannt machten und uns Kinder der 90er in unseren Alpträumen heimsuchten: Auf Rollen wie die der Morticia Addams, der Oberhexe und bösen Stiefmutter schien Anjelica Huston geradezu abonniert zu sein.  Ältere Generationen dürften sie hingegen vor allem aus Filmen wie Die Ehre der Prizzis oder Grifters kennen, für die sie jeweils einen Oscar bzw. eine Nominierung erhielt. Seit den Nullerjahren ist sie vor allem als Teil von Kultregisseur Wes Andersons Stammbesetzung bekannt.

Nur wenige werden indes wissen, dass die Darstellerin von Kindesbeinen an begeisterte und talentierte Reiterin ist, oder dass Peter O’Toole höchstpersönlich ihre ersten schauspielerischen Gehversuche miterlebte, als sie bei einer familiären Privataufführung eine der Hexen aus Macbeth verkörperte. Anekdoten wie diese finden sich zuhauf in „Das Mädchen im Spiegel“, Hustons Autobiographie, in der sie auf knapp 700 Seiten ihre bewegte Lebensgeschichte erzählt. Anders als ihre amerikanischen Verleger entschied sich Rowohlt dafür, die zwei Teile der Biographie nicht einzeln herauszugeben. Wer nun befürchtet, einen langen Atem zu brauchen, um die schiere Textmenge zu bewältigen, dem sei versichert: Man muss kein Huston-Fan sein, ja man muss noch nicht einmal die Filmklassiker ihres berühmten Vaters kennen, um der Lektüre etwas abzugewinnen.

Denn ihre persönliche Geschichte liefert durchaus spannenden, drehbuchtauglichen Stoff. Aufgewachsen auf einem Anwesen im Herzen Galways, Westirland, verbringt Anjelica Huston ihre Jugendjahre im London der Swinging Sixties, bevor es sie zum Modeln nach New York und später zum Schauspielern nach Kalifornien verschlägt. Wie sie es schafft, ihre Leser bei der Stange zu halten und wie sie sie gar dazu bringt, freiwillig Schilderungen von ungezählten Cocktailpartys, Filmdrehs, Preisverleihungen, Fotoshootings und Reisen über sich ergehen zu lassen, lässt sich einfach erklären: Frau Huston macht es einem unglaublich schwer, sie nicht zu mögen. Denn für jemanden, dessen Weg zur Model- und Schauspielkarriere praktisch vorgezeichnet war, ist die Frau mit den italienischen und britischen Wurzeln verblüffend bodenständig; ihrem Geschriebenen merkt man es an. Zwar findet ihr Oscargewinn in einem Kapitel mit dem etwas plumpen Titel „Ruhm“ Erwähnung, doch wenige dürften in der Lage sein, so wenig Gewese um den Goldjungen zu machen, wie sie es tut.

Wer Huston bislang nur aus Kino oder Vogue kannte, wird womöglich überrascht feststellen, dass sie für ein ehemaliges Model erstaunlich unprätentiös und uneitel ist. Sympathisch machen sie vor allem auch ihre Nahbarkeit und die heutzutage leider seltene Fähigkeit, ohne Selbstmitleid und Pathos über wunde Punkte und Verletzlichkeiten zu schreiben. Schonungslos offen beschreibt sie etwa das komplizierte Verhältnis zu ihrem dominanten Vater, der vielgereiste Star-Regisseur und notorische Schwerenöter John Huston. Nicht minder psychologisch interessant ist Hustons Art, von ihren Affären und vor allem von ihren langjährigen Beziehungen zu erzählen. Bevor sie in Künstler Bob Graham einen Partner findet, dem sie auf Augenhöhe begegnen kann, ist sie längere Zeit mit Modefotograf Bob Richardson liiert, und ja, natürlich und vor allen Dingen mit Jack Nicholson. Der Mann, mit dem Huston eine 17 Jahre währende On-Off-Beziehung führt, die Huston in ihrem Buch auf Erzählebene ausplätschern lässt. Man weiß nicht so recht, ob man sich ärgern oder erleichtert aufatmen soll, wenn Ms Huston die Fäden nicht aufzunehmen gedenkt, die sie hin und wieder mal verliert.

Jack Nicholson ist allerdings fast schon ein kleiner Fisch im Vergleich zu all den Reichen und Schönen der Film- und Modewelt, und den Künstlergrößen, die seit frühester Kindheit zu Hustons Bekanntenkreis zählen und in ihrer Autobiographie auftauchen. Film- und Kulturkenner werden zunächst verzückt sein, wenn Berühmtheiten wie John Steinbeck, Montgomery Clift oder Groucho Marx über die Seiten des Buches huschen, nur um früher oder später resigniert festzustellen, dass hier in erster Linie exzessives Namedropping betrieben wird. Eigentlich gehört sich das ja nicht: Seine Leser mit Namen wie Fred Astaire, Josephine Baker oder David Hockney zu ködern, nur um die kurze Begegnung mit ihnen in ein, zwei Sätzen abzuhandeln.  

Ach, die Sache mit dem Schreiben. Wer wie Frau Huston weiß, dass die eigene Biografie durchaus ereignisreich und unterhaltsam ist, sollte nicht den Fehler begehen, Erinnerungen an alte Schulaufsätze auszugraben. Die Sprünge von Anekdote zu Anekdote, die rätselhafte Chronologie und allgemeine Planlosigkeit schreien förmlich nach einem erneuten Lektorat. Die deutsche Übersetzung vermag da auch nichts zu retten, eher im Gegenteil: Zu sehr klingt in idiomatischen Wendungen noch das Englische durch. Als „starke Frau und große Erzählerin“ preist sie der Klappentext, und ersteres ist sie zweifellos. Über den literarischen Wert ihres Buchs breiten wir besser den Mantel des Schweigens aus. Immerhin: Bei „Das Mädchen im Spiegel“ handelt es sich ausnahmsweise einmal nicht um die Memoiren eines Hollywood-Sternchens, das sich noch einmal im Ruhm längst vergangener Tage sonnen will.

Legen Sie getrost den Stift aus der Hand, verehrte Frau Huston. Wir hoffen aber ganz ehrlich, noch einiges von Ihnen auf der Leinwand zu sehen.

Anjelica Huston
Das Mädchen im Spiegel
Übersetzung: Gloria Buschor, Astrid Finke
Rowohlt
2015 · 688 Seiten · 24,95 Euro
ISBN:
978-3-498-03015-5

Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge