Exakte Nachweise und aberwitziger Theorie
Merve ist seit nun schon vielen Jahren die Heimstätte anregender Theorie; die kleinen Bändchen, die einem seit jeher sagen, nicht wie man leben solle, sondern leben könne, sind Begleiter eines jeden im deutschsprachigen Raum, der weiß, dass es das Denken braucht, aber auch, dass Denken Freude ist. Es verwundert also nicht, dass junge „Denker und Dichter“ hier eine Heimstätte finden können, die dem gebotenen Ernst über scheinbar Unernstes schreiben, aber zugleich beim sogenannten Ernsten nicht erstarren, Ann Cotten etwa, die Iowa-Wien-Melange ihres Sprachbewusstseins, Pragmatismus und Theoriefreude, da ist vieles, das zu Merve längst gehört hatte…
Recht akkurat denken sie, Daniel Falb, Hendrik Jackson, Steffen Popp und Monika Rinck hier über Poesie und Poetologie nach, ein Gebiet, das seinen Gegenstand und also seine Verantwortung stets generiert, darum latent unseriös ist, wie auch dieser Band zwischen exakten Nachweisen von Denkmotiven (Leibniz, Baumgarten, …) und aberwitziger Theoriebildung changiert.
„Jagdschein: Poetisieren von allem, was vor die Flinte kommt“ (25) – seit Meckels Aufforderung, man möge doch leiden, zum Beispiel mal seine Katze überfahren, um sich dem Gefühl hinzugeben, wurde selten so intelligent und grotesk umrissen, was Worte zu tun vermögen. Griffig ist auch, wie das, was sie zu tun hätten, umrissen wird – mit dem Erhabenen, was bedeutet: „Erhabenheit ist würdiger Umgang mit dem Krassen.“ (58) Natürlich ist eigentlich das salopp Krasses Geheißene ein Phänotyp des Erhabenen, aber eine poetische Kompetenz ist es, mit eben diesem umzugehen, es zu erkennen, nicht zwingend zu feieren, aber zu versprachlichen.
So werden Möglichkeiten ausgemessen, wobei eines gewiß ist: „Natürlich ist guter Geschmack Aberglaube.“ (63) „Bis zum Erbrechen perfekte Reime“ (69) werfen die Autoren Rilke vor. Das stimmt vielleicht, wird hier aber gar zu lustvoll invertiert, Schnoddrigkeit ist ein Stilmittel, das indes nach 329 Seiten nicht immer vitalisierend gewirkt hat, aus Sicht der Schreibenden: gewirkt haben wird. „Wann beginne ich damit, zu lesen, was ich geschrieben habe?“ (82) Man hätte es jedenfalls ahnen können… Das trifft auch auf die Bezugsgrößen zu: hermetisch bis zum Inzest, dabei seltsam modisch. Ein bißchen Klassik bis in die Antike, dazu Baudelaire und Bergson, natürlich, die MEW, Deleuze und alles, was man gemeinhin als „französische Philosophie“ kennt, sowie die sprachspielende Gegenwartsliteratur diesseits des Süddeutschen, als trennten Paris und Wien (vielleicht auch München) eben feindliche Preußen, die exklusiv naiv erzählen und Theorie aus bösem Willen nicht fragmentarisch bieten. Und französische Texte werden nach einem amerikanischen Essay, worin sie zitiert werden, doch dann noch in dessen deutscher Übersetzung wiedergegeben, was fragwürdig wie pseudo-stylish ist… Das ist keine Bibliographie, das ist das Statement, man wolle zu einem Verlag wie Merve, was dann ja auch eintrat.
Manches ist fast genial – etwa der Hinweis, daß ein Rückgrat biegsam ist und sein müsse, „(b)iegsam mithilfe der Logik“ (64), die hier nirgends starr wirkt, sondern eben die Extreme verwaltet, deren Kräfte die Sprache schubsen, die sie ahnt und uns ahnen läßt. Dabei ist stets klar, daß das Unbrauchbare aus der Angemessenheit folgt, um die es geht, daß der, der Poet ist, sich ausliefert, und zwar dem „Überfall des Verstehens“ (141) – mit dem amerikanischen Volksmund: „The rain, it raineth all around / On both the just and unjust fella, / but chiefly on the just because / the unjust stole the just's umbrella.“ (68) Gewiß sind auch die Autoren also dann und wann solche Betrogene, die im Regen stehen, wenn sie mit Verve gegen das anschreiben wollen, was als Sprache sonst hülfe, das vorliegende Buch stärker wirken zu lassen, indem es schwächer wäre. Oder ist das Koketterie – „Verzeihen Sie den Rülpser“ (150) –, ist der Rezensent der Betrogene, wo er sein erwähntes Unbehagen aus gutem Willen verdrängt? „STOPP! STOPP! STOPP!“ (225)
Der Leser wird in die Misere des Buches gezogen, in dessen „schlechte[r] Laune“, „um Aug in Aug bei der Dummheit zu verweilen“ (85), wie die Autoren mit Foucault schreiben… Das wird dann „Poetogenese“: vom „Endreim“ über das „Schnäuzen“ und die „Pornografie“ bis hin zur „Ökolyrik“ (123). „Poetische Fähigkeit – ein entwickelter Sinn für das ständige Ineinander von Wahrnehmen, Vergegenwärtigen, Ausblenden, […] Bräunungscreme und Denken.“ (265) Die Quintessenz ist Verzögerung, die völlige Unbrauchbarkeit des schlechtesten Werkzeugs, das der Text ist, ist die zugleich superiore Potenz: seine „Funktion als Pause“ (224), die in genialer Weise Joseph Vogl in seinem Band Über das Zaudern, der im Berliner diaphanes-Verlag 2007 erschien, freilich schon gezeigt und diskutiert hat – und auch vor ihm mancher schon trefflich skizziert hatte, man denke an Goethes Überlegungen zu Anthropologie und Langeweile.
Poetogenese..: Alles, was sie auf den Nenner bringt, ist verkehrt, es ist dies aber auch für die Darlegung gültig, warum das so sei – der Spott wäre vielleicht zu retten, wenn wie einst Czernin und Schmatz auch diese Autoren ihrem Sound als einem Jargon (hier: der Uneigentlichkeit?) eine Analyse desselben folgen ließen… Dort bleiben Spannungen, die beredt sind, wie es auch für die Aphoristik Czernins gilt. So aber verpufft hier vieles; und die Befürchtung, die da lautet, man müsse das „Rätsel der Evokation wiederholen, ohne Religion zu stiften“ (325), ist Makulatur, weil leider die Evokationen so oft ausbleiben… Sollte die Leere dann sein, was von der Epiphanie bleibt? Muß ein Buch in dieser Weise notwendig sein? Diese Fragen im Duktus, teils wohl vorgesehen, teils unvermeidlich, also nur bedingt und vielleicht am ehesten dort, wo sie etwas unterlaufen (sind), zu begrüßen, sie sind die Qualität des vorliegenden Bandes, um mit einem fahrlässigen Wortspiel zu schließen, auf das die Autoren doch glatt vergaßen.
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