Vom Atmen in Zwischenräumen
Vorweg mal eines: Wer in seinem Debütband mit einer derartigen Sprachökonomie zu Werke geht wie Anna Hetzer, der verfügt wohl über eine gewisse Gelassenheit und Souveränität im Umgang mit den eigenen Stilmitteln. Aber auch visuell kann man diesem Band ein stringentes ästhetisches Konzept attestieren. Die Illustrationen von Asuka Grün nehmen den Titel „Zwischen den prasselnden Punkten“ als durchgehendes Gestaltungsprinzip auf. Die Kapitelseiten werden von einem Nachtschwarz bestimmt, das mit weißen Punkten durchsetzt ist, als wäre das Weiß mittels Spritztechnik mit einer Zahnbürste durch ein Sieb gerieben worden. Das Ergebnis sieht aus wie ein hingetuschter Sternenhimmel bzw. die Milchstraße – es öffnet den Blick. Die anderen Illustrationen sind gegenständlich. Auf den ersten Blick könnte man meinen, sie ordneten sich den Gedichten illustrativ unter wie etwa in dem Bild, das neben dem Anfangsgedicht „Galerie“ steht. In diesem Gedicht ist vom Boulespiel die Rede und genau das setzt auch die Zeichnung in Szene. Doch hier, wie auch in anderen Bildern, ist die hingestrichelte Dynamik um die Boule-Kugeln das Eigentliche. Striche und Punkte bilden den Algorithmus dieser Zeichnungen. Was übrigens nicht heißt, dass die gegenständlichen Motive nicht von Interesse wären. In ihrer bestechenden Schwarzweiß-Ästhetik wirken sie dunkel und zugleich mystisch überhöht. Wie korrespondieren aber die Gedichte von Anna Hetzer mit der graphischen Stringenz des Bandes? Auch ihr gelingt es, mit wenigen poetischen Strichen ein suggestives Bild zu erschaffen:
Strandbad
im strandbad wasserspiegel
prüfen das gesicht
den mund, der sich öffnet.
wie alt die kiefern sind.
einige badetücher
überlappen einander
saugen den sand auf
sind nass
liegen nachts noch
im schein
der schattenwerfer.
Das Gedicht evoziert eine Stimmung, die sich sofort erschließt, der Abend am See rückt einem plastisch vor Augen. Die schöne Umkehrung am Schluss sorgt noch für einen überraschenden Twist der Irritation, das ändert aber nichts an der formalen Dichte des Sprachmaterials. Flüssig greifen die Bilder ineinander, zunächst das Spiegelbild im Wasser, der sich öffnende Mund, dann der Satz „wie alt die Kiefern sind“. Im Zusammenhang mit dem Wort „Mund“ ergibt sich da eine andere, überraschende Bedeutungsfacette. Der Tausch von „Schein“ und „Schatten“ am Ende setzt ein feines wortspielerisches Signal, aber auf derartige Jonglagen legt es die knapp 30jährige Berlinerin nicht unbedingt an. In einem Teil des Gedichtes „Stary Rynek“ fokussiert sie sich auf das Bild des Nähens:
nähst journale in den schrank
fährst linien der schnittmusterbögen
entlang. der verlauf der straße
hat sich verändert.haltestellen sind taschen
in denen sich jemand auskannte.
nennst sie sakko
die stadt.legst seidenpapier an die fugen
paust sie ab.
Zwischen Schnittmusterbogen und einem Stadtplan entwirft Anna Hetzer metaphorische Parallelen, die in ihrer Ausdauer und Beharrlichkeit fast an eine Allegorie erinnern, die Sprache liefert für die Nahtstellen Nadel und Faden. Auf einen spezifischen Schlussakkord marschiert das Gedicht nicht zu, fast lakonisch das Ende.
Was ist eigentlich das Besondere an diesen Gedichten? Auffällig ist der Polen-Bezug, sowohl zur Sprache als auch zu Land und Leuten. Zwei Gedichte mit dem Titel „Ealing Broadway I und II“ entwerfen mit wenigen Worten Szenerien rund um den gleichnamigen Londoner Bahnhof, einer Gegend, in der infolge der EU-Freizügigkeit besonders viele Polen leben. Eine Welt mit einer angesichts des bevorstehenden Brexits möglicherweise begrenzten Haltbarkeit. Polnische Akzente enthält auch das folgende fein geknüpfte Gedicht:
Berlin-Warszawa Express
am ende der karte
sind füßchen geknipst
als müsste der zug
darauf laufen.
als knüpften abteile
den weg in die birken-
wälder.
warzawa centralna und
ostkreuz ruckeln
auseinander
wie die krawatte
der schaffnerin.
Hier wird eine im doppelten Wortsinne besondere Verbindung zwischen zwei Städten bzw. Ländern am Beispiel eines Zuges erzählt. Auch hier hält Anna Hetzer zwei parallele Bildwelten im Stile einer Allegorie auf der gesamten Strecke durch. Erst am Schluss wird die Stringenz gelockert mit dem wunderbaren Bild der Krawatte. Bestechend an den Gedichten von Anna Hetzer ist der Verzicht auf schillernde Plakativität und metaphorische Hochglanzeffekte. Ihr Wortmaterial ist bisweilen geradezu spröde: „berge, eine hochgeklappte landschaft// wo die panoramen nicht/ zusammenfallen, drischt der mond“, heißt es in dem Gedicht „Notizen“. Keine schmiedeeisernen Wortdrechseleien finden sich darin, stattdessen Wahrnehmungen mit rauer Oberfläche, die auch in der Folge des Gedichts im Stil von Feststellungen daher kommen: „ im tal erbeben trampoline// unsere beine sind antennen// dass die schluchten künstlich sind/erkennen wir an einer tür//“ Jede dieser Feststellungen ist ein poetischer Pfeiler, der das Gedicht trägt. Das Wortmaterial, aus denen jeder Pfeiler besteht, bietet mit seiner rauen und rissigen Oberfläche genügend Nischen für die individuelle Vorstellungskraft des Lesers. Damit sich diese Kräfte vollends entfalten können, hat Anna Hetzer zwischen diesen Pfeilern viel Raum gelassen. Hier kommt die eingangs erwähnte Sprachökonomie zum Tragen. Die Poetin setzt ihre Worte genau und behutsam. Viele ihrer Gedichte haben nicht mehr als vier Strophen á zwei Verse. Oder es besteht aus dreistrophigen Terzinen wie das Gedicht „Full House“:
leerst die stelle in der hand
in die du mich gelegt hast
bettest luft in die federnmein ohr streift sie noch
wenn wir landen, sind wir
hier drüben mehr als gedacht:eine gruppe aus paaren, wollen
kein land unter karten mischen
ich kreuz-, du pik-dame.
Hier spielt eine Poetin in ihrem Debütband erstaunlich stilsicher ihre Karten aus, darunter auch den Trumpf eines subtilen Liebesgedichts. Sie weiß um die Entfernung zwischen den Versen. Und ja, auch in diesem Gedicht gilt die Gleichung: So sparsam die Worte gesetzt sind, so luftig sind die Zwischenräume für individuelle Assoziationen. Sie bieten dem Leser Platz zum Atmen und auf einmal erschließen sich auch neue Bedeutungsfacetten für den Titel des Bandes. Anna Hetzers Gedichte markieren die Räume „zwischen den prasselnden Punkten“, dem Niederschlag der tagesaktuellen Gesichtspunkte, der interpretatorischen Anhaltspunkte, der plakativen Zeichen-Setzungen. Sie eröffnen faszinierende Einsichten, sich in diesen Zwischenräumen zu bewegen.
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