Kritik

Tiefer langer Fall

Anne Goldmanns „Lichtschacht“ spielt mit Alltagsängsten und mit Stereotypen der Geschlechterbeziehungen
Hamburg

Aus der Mitte des schönen Lebens kommt das Böse: Das Böse ist immer und überall. Woher kommt dieser Kalauer? Und der Krimi macht das eine oder andere daraus. Endlos die Filme und Romane, an deren Anfang eine harmlose, ja idyllische Situation steht, die sich mit einem Mal ins Verderbliche wendet, um dann dem Verbrechen freien und ungehemmten Lauf zu geben.
Das gibt den Autorinnen und Autoren jede Gelegenheit, aus jeder Gelegenheit etwas zu machen. Und Lesern ein sehr spezifisches Gruselgefühl und eine mittlerweile letzte allgemeine Verunsicherung: Es gibt keine Sicherheit, es gibt kein gutes Leben im schlechten, und das Schlechte ist die ubiquitäre Drohung überhaupt. Dieses Mal allerdings – post-adornitisch – jedoch nicht wegen der entfremdeten kapitalistischen Struktur, sondern weil wir in einer schlechten Welt leben, so ganz allgemein und nicht nur seit den nun gut 200 Jahren Kapitalismus. 

Wir leben je bereits in der Post-Wohlstands- und Wohlfühlgesellschaft: Jeder versucht sich so gut es geht durchzuschlagen, jeder sucht nach ein bisschen Halt und Glück, aber weder der Wunsch nach materieller noch der nach emotionaler Sicherheit geht in Erfüllung. Stattdessen haben Selbstsucht und Manipulation und das, was sonst noch dazu gehört, Überhand.

Daran kann man verzweifeln, aber der Kampf geht weiter ad infinitum – nur dass so etwas eben nicht zitternd auf der Holzbank dritter Klasse, sondern bequem auf dem Sofa oder unterwegs auf gepolsterten Bahnsitzen zu Gemüte geführt wird.

Wie war das noch mit Kunst? Das Einverstandensein unterlaufen? Und wie mit der Konsumkultur? Für das Einverständnis sorgen? Beides greift vielleicht ein wenig daneben, für die Kunst einerseits, die allzuoft Dekoration ist, und für die Konsumkultur andererseits, die nicht selten ihre eigene Basis massiv demontiert. Der Kapitalismus lebt ganz gut mit seinen Widersprüchen, davon abgesehen, dass die Alternativen noch nicht wirklich bewiesen haben, dass sie ihre Leute besser behandeln.

Aber zurück zum Krimi. Anne Goldmann hat bereits in früheren Romanen auf dieses Kontrafakturschema zugegriffen: aus einer harmlosen Situation eine dramatische zu machen, also ein Bild mit einem anderen zu überspielen.

In „Lichtschacht“ nimmt sie dafür einen einfachen Plot: Aus einer alltäglichen Situation entsteht das Böse selbst: Eine junge Frauen beobachtet zwei Frauen und einen Mann, die auf dem Dach eines Wiener Mehrgeschosshauses feiern. Die Situation ist entspannt, es ist ein schöner Tag. Die drei gegenüber scheinen ihn und den Blick über Wien zu genießen, was man sich wunderbar vorstellen kann.

Die Situation hat naheliegend etwas von dem Voyeurismus, der in der Großstadt gute Nahrung findet. Das Umschlagbild (das witzigerweise auf ein Bühnenbild des Cirque de soleil zurückgreift) spielt noch damit: Wir blicken in die Fenster des gegenüberliegenden Hauses in die Leben viele Nachbarn hinein, und sehen dabei nicht nur die angenehmen Seiten, die die Leben anderer haben. Sensationen sind es allerdings allemal. Zumal der vertikal angeordnete Titel dem Lichtschacht des Mehretagenhauses nachgebildet ist (wieso muss man übrigens einen Lichtschacht erklären? Und wieso alltagssprachliche Wendungen, die das Österreichische vom Deutschen unterscheidet? Jeder popelige Science Fiction verwendet irgendwelche unerklärlichen Begriffe und spart sich die Erklärung, was der Fantasie viel Raum lässt). 

Als sie nach einem kurzen Augenblick, den sie weggeschaut hat, hier hinblickt, ist eine der Frauen verschwunden – offensichtlich vom Dach gefallen – oder etwas gestoßen worden? Das ist eben die Frage. Die junge Frau, Lena, ist erschüttert und entsetzt. Sie traut ihren Augen nicht, und ist zugleich verängstigt, denn die beiden Überlebenden sehen sie und erkennen sie. Woraus selbstverständlich die Thriller-Struktur par excellence entsteht. Denn was werden die Beteiligten tun? War es ein Mord, ein Unfall? Und ist Lena nun Augenzeugin geworden, die vielleicht sogar beseitigt werden muss? 

Keine Frage, das hört sich wie der Anfang einer großen Geschichte an, deren Verlauf sicherlich einige Wendungen nehmen kann und viel bereit hält.

Allerdings fehlen dafür Goldmann die nötigen Mittel. Fein? Genau? Präzise? Elegant? Eigenwillig? Das sehe, wer will. Von der Extremsituation aus tauchen die Leser auf den folgenden Seiten tief in das Leben der einen wie der anderen Seite ein. Nur, warum sollte man dem folgen wollen? Der Plot gibt offensichtlich dann doch nicht so viel her und die Erzählung auch nicht. Was bleibt, ist ein zugeklapptes Buch, bei den Klugen vorzeitig.

Anne Goldmann
Lichtschacht
Argument Verlag + ariadne
2014 · 256 Seiten · 12,00 Euro
ISBN:
978-3-86754-220-3

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