Überschrift
Im Wort Überschrift schwingen im Sprachgebrauch zwei Bedeutungen mit. Einerseits die von einem Titel und andererseits der einer Überschreibung im Wortsinn.
Vielleicht sollte man bei der Besprechung dieses Buches zuerst einmal auf die Covergestaltung durch Andreas Töpfer eingehen. Töpfer und Avanessian sind ein Team, die meisten Bücher, die Avanessian in den letzten Jahren herausbrachte, zumindest alle, die ich kenne, wurden von Töpfer gestaltet. Und das hat seinen Sinn, denn seine Gestaltung ist Inhalt, setzt den theoretischen, literaturwissenschaftlichen, philosophischen oder politischen Thesen Avanessians zeichnerische und im vorliegendem Fall auch gestalterische entgegen. Töpfer hält die Reihenform ein, indem er sie aufsprengt und so erneut sichtbar macht.
Konkret: Die Bücher des Berliner Merveverlages sind, solange ich sie kenne, wohl an die dreißig Jahre, und wohl auch vor meiner Bekanntschaft auf dem Titel und auf der Rückseite mit einem Parallelogramm versehen. In das Parallelogramm vorn sind eben Autor und Titel gedruckt und hinten die kurze Inhaltsbeschreibung, der Klappentext, wie man sagen würde, wenn es sich um ein gebundenes Buch handeln würde.
Überschrift hält es genauso, oder nur fast, oder so ähnlich. Die Parallelogramme sind da und sie enthalten auch Schrift, nur auf eine merkwürdig unlesbare Weise, in Spiegelschrift irgendwie, auf einem bleigrauen vergänglichen Untergrund. Ich brauchte einige Zeit, um zu erkennen, dass es sich um Rubbelflächen handelt, dass sich die merkwürdige bleigraue Schicht abrubbeln ließ und der Titel dahinter sichtbar wurde wie die Geheimzahl zur neuen Kontokarte in einem Bankbrief. Ebenso verhielt es sich mit Rückseite und Kurztext.
Soweit zur Hülle. Der Band enthält in zwei Teilen und einem Epilog Essays von Armen Avanessian, die, könnte man sagen, zur Attacke aufrufen, die selbst Angriffe sind in vielerlei Hinsicht.
Einerseits wenden sie sich gegen den Zustand der deutschen Universitäten und die Reformbemühungen und Reformen der letzten Jahre, die ein kritisches akademisches Arbeiten immer weiter einschränken, andererseits aber wenden sie sich auch gegen den melancholisch-romantischen Blick der Reformkritiker, die einen Zustand verklären. Zu den in den letzten Jahren grassierenden Exzelenzinitiativen zum Beispiel schreibt Avanessian:
Die halbherzige Implementierung führt vor allem in den geisteswissenschaftlichen Exellenzbetrieben gerade nicht zur Förderung, der in den Anträgen gebetsmühlenartig evozierten freien Forschung, sondern die wissenschaftlichen Mitarbeiter werden an der kurzen Leine gehalten und für den Lehrstuhlbetrieb herangezogen.
Nach der Reform ist also vor der Reform. Der universitäre Mittelbau arbeitet weiterhin unter sklavenartigen Zuständen. Ein Großteil der Lehraufträge ist weiterhin undotiert und gerade Habilitierte müssen sie annehmen, um sich die vage Hoffnung auf einen Ruf auf einen Lehrstuhl erhalten zu können. Von hinten drängen smarte Juniorprofessoren.
Liest man Avanessians Ausführungen zum Hochschulbetrieb, bleibt nicht viel Hoffnung und man fragt sich, ob es noch die Orte genuiner Wissensproduktion sind, wenn sie es je waren.
Aber die hochschulpolitischen Auslassungen sind nur ein Teil des Buches. Wesentlich wichtiger, zumindest für mich, der Hochschulen und Universitäten nur mehr nur ab und an betritt, um einen vergüteten Lehrauftrag abzuleisten und hinterher monatelang auf die meist sehr bescheidene Vergütung zu warten, sind jene Texte, die sich eigentlich inhaltlich aufstellen.
Im Zentrum des Buches, also ziemlich genau in der Mitte findet sich ein Text, der meiner Meinung nach ziemlich genau einige Punkte des theoretischen Programms Avanessians umreißt. Er setzt folgendermaßen an:
Aus der Perspektive einer Ethik des Wissens und einer Poetik der Existenz argumentiere ich in diesem Buch gegen die Dominanz der ästhetischen Philosophie und angesichts der Ausweglosigkeit ihres „kritischen“ Denkens für dessen Überschreibung mittels zweier Strategien: Poetik und Spekulation.
Überraschend neu und erfrischend ist auch, wie Avanessian die Poetik gegen die Ästhetik oder zumindest das ästhetische Verhalten der Theorie in Stellung bringt. In dem er den Focus auf die Hervorbringung des Neuen legt, stellt er natürlich auch die überkommenen Erzählungen des Vergangenen in Frage, an die wir uns so gewöhnt hatten, unter anderem auch den Mythos von der guten Humboldtschen Bildungseinrichtung namens Universität.
Und weiter knüpft Avanessian an ein „nicht metaphysisches Konzept der Spekulation“ an, dessen Grundlagen er von Meillassoux bezieht:
Die Idee einer nichtmetaphysischen Spekulation würde darin bestehen, das letztendliche Fehlen eines Grundes aller Dinge ihre radikale Kontingenz zum prinzipiellen Absoluten zu machen.
In diesem Text finden sich kühne Formulierungen, die gleichermaßen befreiend aber auch schwindelerregend sind. Ein wenig geerdet wird man dann mit Texten über zum Beispiel Freud oder Barthes, geerdet, aber nicht versöhnt mit dem gegenwärtigen Zustand der Philosophie und dem akademischen Raum.
Mit Blick auf Steinweg und auch auf Avanessian wäre zu sagen, dass der Kern dessen, was Adorno in seiner ÄSTHETISCHEN THEORIE von der Kunst fordert, von der Philosophie selbst zu leisten wäre: die Konstruktion des Anderen.
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