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Kritik

Lichtreflexe und Buchstabengeriesel

Arne Rautenberg schießt mit seinem neuen Band „seltene erden“ ein sinn- und silbenfreudiges Feuerwerk ab.
Hamburg

Arne Rautenberg läßt sich stilistisch nicht festlegen, denn Arne Rautenberg ist ständig in Bewegung. Natürlich ist bei ihm eine gewisse Nähe zur visuellen Poesie eines Klee, Schwitters oder Finlay nicht zu übersehen, auch kommt einem vor allem im Hinblick auf die Zusammenstellung des Bandes E.E. Cummings in den Sinn, bei dem dieser reizvolle Mix aus visuellen und Strophengedichten, bald launig im Ton, bald von unbestreitbarer Tiefgründigkeit, ebenfalls zu finden war. Doch Rautenbergs Gedichte sind souverän genug, um diese ferne Verwandtschaft ohne Originalitätsverlust auszuhalten. Mit „seltene erden“ hat er seinen vielleicht bisher gelungensten Band vorgelegt. Nichts hält hier die Phantasie und Wortspiellust im Zaum, ganz mühelos werden die Möglichkeiten des Gedichts ausgelotet, von der modernen Hymne bis zum drolligen Silbentanz, von der Lautmalerei bis zur realistischen Beobachtung.

kurz bevor ich an den stau heranfuhr sah ich
auf dem asphalt einen dunklen fleck
der nach rechts fog
eine fette erdkröte sprang
um ihr leben ich drehte am lenkrad
der wagen geriet leicht ins schlingern
neben mir meine frau hinter mir meine kinder
im rückspiegel sah ich die kröte
den klumpen leben im sprung
seiner nackten möglichkeiten

Solche ganz ins Konkrete mündenden Gedichte verzichten auf jegliche Spielerei, wie etwa die oben zitierten Schlußzeilen aus „rückfahrt von skallingen“ — eine Lebensbilanz als Bewußtseinsstrom, eine assoziative Sammlung von Gedankenfetzen —, oder die in ihrer Schlichtheit sehr anrührenden Erinnerungen der Großmutter in dem langen Monolog „zwei farben“. Die andere Seite dieser existentiellen Erinnerungskultur sind die mit sarkastischer Heiterkeit vorgetragenen Untergangsszenarien. Wenn Rautenberg zum Beispiel den Plastikmüll der Meere zum Kunstwerk erklärt, persifliert er zwar en passant die Ready-mades eines Marcel Duchamps, schafft jedoch vor allem eine Anti-Hymne, die umweltkritisch auftritt und zugleich auf paradoxe Weise die verlorene Herrlichkeit der Weltmeere heraufbeschwört. Ein wiederkehrendes Stilmittel Arne Rautenbergs ist es, das Gewohnte aus der Zeile und in mal mehr, mal weniger ungewohnte Perspektiven zu werfen:

dieser gedrückte greis
der ich bald bin der
vor dem fenster
auf dem gehweg kreucht
das könnte die sonne heute sein

Daß man den „gehweg“ auch als ein „geh weg“ wahrnehmen kann, ist an dieser Stelle ein hübscher, jedoch wohl eher beiläufiger oder womöglich gar nicht beabsichtigter Einfall, macht indes klar, wie sehr der Leser im Laufe der Lektüre sprachlich sensibilisiert wird; anderswo allerdings sind die Wortspiele und metaphorisch evozierten Vorstellungen substantieller:

nach dem regen
reißt der himmel
seine augen auf

Zahlreiche visuelle Gedichte des Bandes bilden das Objekts des Gedichts selbst ab, so nimmt etwa der „winterbogen“ die Gestalt eines Bogens mit angelegtem Pfeil an, hangelt sich das „haar“ dünn die Buchseite herunter, hat eine Meditation über Harakiri die Gestalt eines Dolches, obwohl eine ganz andere Form des Selbstmords zur Sprache kommt. Noch raffinierter gehen jene Gedichte vor, die kein Objekt graphisch wiedergeben, sondern eine Bewegung wie das Glockenläuten im Nebel, das Rieseln des Schnees, oder einen Zustand wie die einsame Sonnenblume im Feld, oder eine Wahrnehmung wie das durch Lücken und Punkte imitierte Insektengesumm und -gewusel. Das mag letztlich keine Invention Rautenbergs sein, ist aber von ihm so subtil und verlockend ausgeführt, daß bildhafte und inhaltliche Ebene zu einer perfekten Synthese gelangen.

Seltene Erden sind eigentlich chemische Elemente, die zu den Metallen zählen, man unterscheidet schwere und leichte, wobei die exakte Einteilung nicht ganz unstrittig ist. Der Titel des Bandes kann darum programmatisch aufgefaßt werden, denn die verschiedenen Tonhöhen seiner Gedichte stehen dicht nebeneinander: Humoristisches findet sich somit neben Ernsthaftem, ohne daß eine strikte Trennung unbedingt erforderlich wäre; vielmehr besteht gerade in dieser ganz demokratischen Anordnung der besondere Reiz. Daß die titelgebenden „erden“ die Vorstellung unterlaufen, die man von ihnen hat, nämlich Erden zu sein, nicht Metalle, wirft zudem vorgefaßte Meinungen exemplarisch über den Haufen — denn man ist von Arne Rautenbergs Gedichten immer überrascht, sie kippen erst in diese, dann in jene Richtung, so daß man immer damit rechnen muß, mit einer erstaunlichen Einsicht, einer Aha-Pointe konfrontiert zu werden. Bei allem sprachlichen Jonglieren, das hier am Werke ist, bleibt es aber ganz irdisch, geht nie die Bodenhaftung verloren. Rautenberg versteht es, dem Zivilisationsmüll mit einer guten Prise schwarzen Humors zu begegnen, was nicht besagen soll, er nähme ihn nicht bitterernst, nein, ihm bleibt nur das Lachen nicht im Halse stecken, um sich dort gallig zu verklumpen. „der entlegene / abgrund handyempfang nein / haikuempfang ja“: kürzer und prägnanter kann man Kritik nicht fassen.

Auch wenn sich Arne Rautenberg, wie eingangs bemerkt, stilistisch nicht festlegen läßt, erweisen ihn seine Gedichte stets als einen heiteren Melancholiker, einen menschenfreundlichen Skeptiker, einen Verächter der Eingleisigkeit: deshalb sind die Gedichte einfach und schwer, klingend und rauh, spöttisch und weise. Diese Balance zu halten, ist echte Artistik. Und sie zeigt einmal mehr, mit welch zum Teil simplen Mitteln große Wirkung erzielt werden kann.

Arne Rautenberg · Mathias Jeschke (Hg.)
seltene erden
Horlemann
2014 · 92 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-89502-383-5

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