Die Richter und ihre Gehenkten
Im Grunde ist es ein Klischee: die tumben Deppen in ländlichen Gebieten, die sich in ihre konservativ-gläubig-abergläubischen Ressentimentwelten zurückziehen, Fremde herablassend beäugen und jeden niederknüppeln (wörtlich oder im übertragenen Sinn), der sich ihren mitunter schwer durchschaubaren Hierarchien nicht beugt. Ein Setting, das bei Nacht und Regen bis heute immer wieder für effektvolle Horrorfilme herhalten darf – man muss da nur ein paar ahnungslose Großstädter durchscheuchen und schon hat man den Salat.
Andererseits kann man derartige Szenarios (weniger überspitzt) auch selbst erleben, man muss dafür bloß durch rheinländische Dörfer tuckern. Oder durch die österreichische Pampa, in der Axel Karners in einer minimalistischen Prosa gestaltete Erzählung „Der rosarote Balkon“ angesiedelt ist. Da kommt dann sogar noch der Dialekt dazu, der seine ganz eigene Wirkung innerhalb dieses Kontextes entfaltet: „Wo is da Bua?“ Etwas Schrecklicheres kann einem Kind in der Frühphase seiner Sozialisation wohl kaum passieren.
Dieser kränkliche und empfindsame Bua sitzt auf seinem nach einer Renovierung in schauerlichem Rosarot (ein „Monstrum“) erstrahlenden Balkon, der auf den Dorfplatz hinausragt. Ein Aussichtspunkt, von dem aus Sozialstudien betrieben, die alltäglichen Brutalitäten des Landlebens begutachtet werden. Und die erhöhte Position schützt ihn nicht, er ist ein Teil dieser Gemeinschaft, so sehr es ihm auch zu widerstreben scheint. Dieser archaisch wirkenden Leute mit ihren Kühen und Karren und Kirchenglocken. Mutter sitzt vor der Glotze, Vater vorm Schnaps, wenn er grad nicht draußen ackert oder sich über das Radio empört – oder den Nachbarn. Auch der Totengräber hat gut zu tun, und jene Leichen, die die Männer des Dorfes aus dem zweiten Weltkrieg heimbrachten, sind sicher in den dunklen Kellern verscharrt. Hinter den weißen Zäunen.
Karners Geschichte ist ein Panoramablick mit beengter Perspektive. Er schnappt die Details auf, die durch das Blickfeld seines Erzählers schwirren, und die jenen ebenso befremden wie den Leser. Nicht, dass man hier irgendetwas Neues erfahren würde. Was sich auf den knapp fünfzig Seiten entfaltet, ist ziemlich genau das, was man nach den ersten beiden erwartet: provinzielle Engstirnigkeit mit all ihren Auswüchsen, dargebracht in bestechender sprachlicher Lakonik. Ein Buch wie ein Grummeln aus einer mürrischen Kehle.
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