Nur die Fliegen um die Augen der Frau
Barbara Zeizingers neuer Gedichtband „Weitwinkel nah“ zeigt auf dem Umschlag die Bibliothek von Italo Svevo in Triest und verweist schon mit dem Titel auf einen poetisch-dramaturgischen Trick, den Barbara Zeizinger gern anwendet: den Widerspruch oder vielmehr ein Spiel mit Widersprüchen.
Im Titelgedicht heißt es:
Jetzt leben sie mit der Sandbank
atmen mit dem steigenden Fluss
der Himmel kopfüber und die Hoffnung
schwimmt zwischen Dächern kieloben
und dieses aufgebrochene Licht
nur die Fliegen um die Augen der Frau
Alltägliche Dinge werden mit dem Gegenteil konterkariert und dadurch scheinbar aufgehoben, sodass das Bild gleichzeitig verschwimmt und sich verstärkt und im Kopf des Lesers und der Leserin eine Bildfolge hinterlässt, gleich einer Filmsequenz mit Schnitt und Gegenschnitt.
Kettenkarussell
Blicke üben sich in Flüchtigkeit kein Wurzeln im
Schattenlicht nur Luftsekunden und das Versprechen
der Fliehkraft. Richtungspunkte wiederkehrend wie
unsere Suche während der mondabgewandten Seiteder Erde wenn wir unsere Insel nicht finden weil
das Wasser zurückkommt. Immer nur Ausschnitte
sagst du ich solle nicht glückshungrig sein.
Aber ergeben nicht viele Punkte ein Bild?
Durch die Verwendung des Konjunktivs, der keineswegs manieriert eingesetzt wird, vielmehr fast versteckt daherkommt, relativiert Barbara Zeizinger Gefühle oder Wünsche des lyrischen Ichs: barfuß laufen wäre schön oder Jetzt wäre ich gern arglos, wogegen minipoetische Feststellungen von Zuständen sich konkret äußern, nämlich als Fakten, denen nicht widersprochen werden kann.
die Zeit steht still für Sekunden (S. 19)
oder:
jedes Stück Himmel ist nur geborgt (S. 45)
oder:
Es sind immer zwei Träume in einem.(S. 70)
oder:
Bei Bedarf träume ich rückwärts
bald sind wir alle gelöscht.(S. 64)
Was mich betrifft, habe ich keinen „grünen Daumen“, trotz des Bemühens meinerseits haben es Pflanzen und Blumen in meiner Obhut mit dem Gedeihen schwer. Daher lasse ich lieber die Finger von Barbara Zeizingers Blumengarten: Als da finden sich Hibiskus, Magnolien, Forsythien – allesamt schöne Wörter, jedoch kann ich sie olfaktorisch nicht unterscheiden. Vermutlich identifiziere ich Lavendel und Thymian. Löwenzahn und Klatschmohn halte ich für geruchsneutral. Misteln erkenne ich, sobald Bäume ihre Blätter verloren haben und diese meist immergrünen Kugeln oder Knödel oder Buschen oben zwischen den Zweigen sitzen, oder wenn sie als Christbaumersatz oder -zusatz zum Einsatz kommen, jedenfalls ein Weihnachtsschmuck, der keiner Pflege bedarf.
Und weil ich grad am Meckern bin, hätte ich mir einen spärlicheren Mond-Umgang gewünscht. Auf uns Erdlinge scheint leider nur ein einziger, oftmals recht abgemagert.
[…] Ein Stück Frankfurt fährt mit der jungen Frau
dreifach verschnürt in Kisten und im Kopf
schon Rumänien das fließt uferlos zwischen
Donau und Main von Mond zu Mond in dem Haus
in den Straßen die geliehene Zeit dann zurück
[…]
Die 54 Gedichte sind in fünf Kapitel unterteilt, das vorletzte des Bandes thematisiert Reisen.
[…] erinnerst du dich
an unser Gespräch über Augenblicke ohne Anfang
und Ende? […]
Jedem Kapitel ist als Motto ein Haiku vorangestellt. Jenes für das erste Kapitel lautet pointiert:
Zwischen die Zeilen
fliegt ein Marienkäfer.
Sieben Punkte mehr
Im Gedicht „Weitsicht“ begegnen wir der schönen Metapher der Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“:
Eine Katze streicht durchs Feld. Sie lächelt.
Nicht nur das Lächeln der Katze – zahlreiche weitere Bezüge und Zitate fließen mit hinein in diese Gedichte, Pablo Neruda oder Allen Ginsberg.
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