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Kritik

Vom Winterschlaf der Zugvögel

Bastian Schneiders Miniaturen verweben Träume, Erinnerungen und Beobachtungen zu einer Formation von Zugvögeln
Hamburg

Kurz vor seiner Teilnahme am diesjährigen Bachmann Wettlesen, legt Bastian Schneider sein Prosadebüt vor.

Auf dem Cover des bei Sonderzahl erschienen Bandes mit Prosaminiaturen, sind Strommasten abgebildet, auf denen Buchstaben die Vögel ersetzen. Eine sehr passende Illustration für ein Buch, in dem es nicht zuletzt darum geht, das Fliegen durch das Schreiben zu ersetzen. In dem von Zugvögeln die Rede ist, die statt sich auf die Reise in den Süden zu machen, Winterschlaf halten und dabei von ihren Träumen erzählen.

In „Vom Winterschlaf der Zugvögel“ geht es um die Erinnerung, von der es heißt sie sei „ein Zugvogel, der Winterschlaf hält, ein paradoxes Geschöpf, das unweigerlich Bildtexte ausbrütet, während es vorgibt, zu schlafen, zu vergessen.“

Auf diese Weise wird aus der Sammlung von Miniaturen eine Autobiografie anhand von geflügelten Motiven. Eine Autobiografie, die mit dem Vogelkäfig beginnt, der als Lampenschirm dient. Das ist ein klug gewähltes Bild für den Einstieg in diesen Reigen aus Flug- und Vogelminiaturen, weil der Käfig, wie die Erinnerung selbst, beides symbolisiert, Schwerelosigkeit und Freiheit, aber auch Gefangenschaft. Immer wieder werden sich die folgenden Erzählungen zwischen diesen Polen bewegen, vielleicht könnte man sogar sagen, die kurzen Erzählungen stellen die Gitter des Käfigs dar, Gitter aus Worten, die die Erinnerung beherbergen, oder gefangen halten. Und ab und zu wird der Käfig geöffnet, um ein Geheimnis zu lüften, zum Beispiel das von den Federn in einer (unsichtbaren) Kiste, Unscheinbare Schätze, die erst in der Erinnerung ihren Wert offenbaren.

Stilistisch überzeugen die sinnigen und weichen Übergänge von der Vergangenheit in die Gegenwart und zurück. Schneider hat hier eine angemessene Form gefunden, um wiederzugeben wie sich Vergangenheit und Gegenwart immer wieder verschränken, ähnlich wie Traum und Wirklichkeit, wie das, was der Erzähler beobachtet und was bei der Landung der Worte auf dem Papier daraus wird. Aus dem, was sich auf dem Boden der Tatsachen abgespielt hat, wird beim Niederschreiben etwas schwebend Unwirkliches. Diese Verwandlung ist das, was den besonderen Reiz von Bastian Schneiders Texten ausmacht.

Da ist zum Beispiel diese Geschichte, die nur aus einem einzigen Satz besteht, der über eineinhalb Seiten lang den Bogen spannt zwischen der Überlegung, wie ein erster Satz gestaltet sein müsste, und einer aus den Baumkronen brechenden Krähe.

Eichelhäher, Wellensittiche, Tauben und Stubenfliegen überwinden in Schneiders Miniaturen ein ums andere Mal die Schwerkraft des menschlichen Alltags.

Rhythmisch sind die Geschichten so gestaltet, dass man sich nach einer Weile des Lesens einbilden kann, die Sätze ahmten Flugbewegungen nach, Flügelschlagen.

Den Schwerpunkt legen die Geschichten auf die Erinnerung. Zumeist die Erinnerung an den Großvater. Ausgerechnet die Miniatur, die die Erinnerung an die verstorbenen Großeltern vergegenwärtigt, ist im Präsens gehalten. Das ist geschickt gemacht.

Erinnerungen, das verdeutlichen die kleinen Geschichten von Bastian Schneider, vereinen Widersprüche in sich, sie sind wie die Vögel, fliegen davon, lassen sich einsperren (oder sperren ihre Besitzer ein), sie sind flüchtig und treu, gefährdet und frei.

Schneiders ambitionierter Versuch zielt darauf ab, die Erinnerung, die über das eigene Leben hinausgeht, abzubilden. An einigen Stellen gelingt ihm das durch flüchtige, schöne Sätze, die berühren, gerade weil sie nicht fassbar sind. So wie der Gesang der Vögel, in den frühen Morgenstunden, oder wie die Flugformation der Zugvögel, wenn sie aufbrechen oder wiederkehren.

Häufig lässt Schneider seinen Texten ihr Geheimnis, dann sind sie anmutig und schwebend. Manchmal aber meint er es zu gut, und schreibt, um sich oder uns die Welt zu erklären. Das ist schade, weil es den Texten die Leichtigkeit nimmt, und den Lesern Antworten serviert, ohne dass sie das Drängen der zugrundeliegenden Fragen spüren können.

Die gelungensten Stücke jedoch, und diese überwiegen eindeutig, werden von einer somnambulen Stimmung getragen. Manche von ihnen vermitteln beim Lesen das Gefühl, für einen kurzen beglückenden Moment allein mit Worten vom Boden abzuheben und zu schweben.

Bastian Schneider
Vom Winterschlaf der Zugvögel
Sonderzahl
2016 · 15,00 Euro
ISBN:
978 3 85449 449 2

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