Was macht der Mayer am Himalaya
Die Reihe der themenbezogenen Anthologien in der Edition Splitter wurde um „Schlager & Treffer“ erweitert. Da nicht zwingend jeder Schlager ein Treffer und jeder Treffer ein Schlager sein muss, als man jedes auf deutsch geträllerte Liedchen taxfrei als „Schlager“ bezeichnete, lässt die Verbindung dieser beiden Termini eine beträchtliche Spannbreite an Beiträgen erwarten. Otto Brusatti geht dem Begriff auf die Spur. Tatsächlich lag die große Zeit der Schlager in den 1950er- und 1960-Jahren. Später nervte der ehemalige Kabarettist Gerhard Bronner eine Radio-Zuhörerschaft mit seiner Sendereihe „Schlager für Fortgeschrittene“. Genau genommen war bereits der Walzer „An der schönen blauen Donau“ ein Schlager, vermutlich auch der „Radetzkymarsch“. Und die Schlager der 1930er hatten auch so manches zu bieten; „Was macht der Mayer am Himalaya“, „Wo sind deine Haare, August?“ und „Ausgerechnet Bananen“ und so weiter. Gerhard Rühm dichtet sich an der Idee entlang, ein Lied zu machen und damit viel Geld zu verdienen.
Die Sprache des Schlagers ist unmißverständlich“, schreibt Christian Baier in einem Essay zu „Schlager, Hit und Evergreen“. „Der Schlager kennt keine Scham. Sie ist eine Errungenschaft der Zivilisation, die sich auf Triebkontrolle gründet“, argumentiert er, wobei es darum geht, dass der Schlager oftmals auf der Tastatur der Gefühle spielt. Friederike Mayröcker thematisiert die emotionelle Bedeutung, die ein bestimmter Schlager für zwei Menschen haben kann, als ein Code für ein bestimmtes Erlebnis.
Spannend wird es, wenn die zwei abgedruckten „Schlager“ von Alfred Zellinger und Franz Koglmann – auf der beigefügten CD kommt ein dritter hinzu – in Englisch sind und Teile einer in Arbeit befindlichen Oper zum Thema „Wirtschaft“ darstellen. Da wird Klartext geredet. „Es ist Zeit, daß die Menschen ihre eigene Evolution in die Hand nehmen, ihre Konstruktions- und Designfehler etwas mildern; auch wenn die Religionen das gern verbieten würden.“
Ilse Kilic und Fritz Widhalm haben sich im Internet nach „Schlager“ umgesehen und für verwandte Begriffe wie „Liebe“ und „Ellbogen“ Treffer „erforscht“.
Mehr auf der Seite der Treffer bewegt sich der Traum-Text „Der Ohrfeiger“ von Andreas Okopenko. Den „Todestreffern“ beim Stierkampf geht Michael Fischer analytisch und essayistisch nach.
Die großartige Erzählung „Láska, Bože, Láska“ („Liebe, oh Gott, Liebe“ – ein „Schlager“) von Žofia Chudá schildert in einer bilderreichen Sprache das Leben von Tante Stefka, die nie geheiratet hat, eine Frau, die immer zu kurz kommt, immer zuerst an andere denkt. In der subtil beobachteten Geschichte, die anscheinend autobiografische Anklänge besitzt, finden sich beeindruckende Sätze, wie „…ein Gesicht, das klein geworden war im Alter, und das nur noch von ihrem Kopftuch zusammengehalten wurde.“ Die biografischen Angaben listen auf, dass die Autorin 1965 im slowakischen Tatragebirge geboren wurde und 1978 wegen eines als politisch anstößig empfundenen Gedichts vom weiteren Besuch der Schule ausgeschlossen wurde und 1996 den Freitod gewählt hat.
Nicht unerwähnt soll die Erzählung „Nebenluft“ von Christian Baier bleiben, in der die Sängerin Lesley Gore den Rahmen für eine höchst kuriose Begegnung liefert. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie jemand fragt, ob Sie Lesley Gore kennen? Kenne ich nicht, ist zu wenig. Wenigstens einen ihrer „Schlager“? Darüber lässt sich eine skurrile Geschichte der Obsessionen erzählen.
Übrigens: Der Umschlag der Anthologie stammt von Günter Brus.
Die Publikationen der Edition Splitter weisen den Weg zurück zu einer kritischen Kultivierung des Lesens, denn »lesen heißt jetzt splittern« [Burghart Schmidt].
Fixpoetry 2011
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben