Ein Biss ins Herz
Seit vielen Jahren erscheint im kleinen VERLAG IM WALD im bayerischen Rimbach fremdsprachige, meist französische Dichtung in, zugegeben, nicht immer gelungener Übertragung des Verlegers Rüdiger Fischer. Die Bände sind meist zweisprachig und so kann der Leser nachvollziehen, was vom Original hinüberwurzelt in die deutsche Fassung, und was nicht. So gekonnt die Texte übersetzt sind, bisweilen fehlt das Lyrische, fehlt auch das Eigentümliche, der dem jeweiligen Autor anhaftende Ausdruck, gerade die Dinge also, die man nicht einfach übersetzen kann, sondern deretwegen man auch von Übertragungen spricht.
Ein Vabanque-Spiel, den Text eines anderen so zu manipulieren, daß er dem Leser lyrisch so gesund und gleichzeitig mit dem richtigen Teint gegenübertritt wie in der Ausgangssprache.
Es bedarf großer Empathie, und mit ihr Phantasie, aber auch Kenntnisse über den Autor und seine biographischen Bezüge.
Umso schwieriger, wenn man in gleich mehrere Dichterpersönlichkeiten einzutauchen hat, wie bei der vorliegenden Anthologie „Ein Biss ins Herz – Morsure Au Coeur“, in der 15 Lyriker aus Quebec versammelt sind. Daß dabei manche individuelle Würze nur in Andeutungen durchschmeckt, ist beinahe unausweichlich – es bedürfte einer Kennerschaft, die mal nur so eben zum Übersetzen des Buches nicht zu erwerben ist. So sind immer wieder kleinere Unebenheiten vorhanden, und die sollen hier nicht weiter als Makel apostrophiert sein. Aber es gibt richtige Fehler. Doch davon später mehr.
Das Buch bietet eine gute Möglichkeit, die zeitgenössische Lyrik eines uns so entlegenen Landes in einer aussagefähigen Zusammenstellung kennenzulernen. Eines Landes, das offiziell nur als Provinz Kanadas betrachtet wird, aber mit seiner französischstämmigen und –sprachigen Einwohnerschaft in Amerika etwas ganz besonderes darstellt: Quebec ist die frankophone Variante, mit einer eigenen Kultur, einer eigenen Flagge, ja sogar einem eigenen Nationalfeiertag, die aber dennoch immer wieder, ganz „unfranzösisch“, zurück tritt ins Glied, sich einreiht in ein gemeinsames Kanada innerhalb eines sonst angelsächsischen Nordkontinents.
In der Lyrik des Landes spiegelt sich dieses Mißverhältnis. Das französische Amerika will hier schon lange autonom sein und seine Eigenständigkeit zeigen. In einer hochinteressanten Einführung schildert Bernard Pozier (literarischer Leiter des Verlags Ecrits des Forges) die Geschichte der Literatur des Quebec. Mythische Figuren, wie der früh ins Irrenhaus eingewiesene, rimbaudeske Emile Nelligan (1879-1941) tauchen auf. Eine gequälte, nach innen gerichtete Dichtung der Einsamkeit herrscht vor, wo die Macht des Geldes der Anglophonen und deren Ordnungsstrukturen, die konservativen, religiösen Grenzziehungen dem lebensverliebten Quebequois sehr deutlich seine Andersartigkeit aufzeigen. „Die Schwierigkeit, als Individuum zu leben“ ist das große Thema und auch schon die Sehnsucht nach der Nation, dem Anderland, dem eigenen Québec. So zeigt auch die kalifornische Gegenkultur der Sixties einen starken Widerhall. Bis heute kreisen die Themen um: Identität, Sprache, Revolte, die Formen der Modernität, das Wort der Frauen, der urbane Raum und die multikulturelle Landschaft, in diesen Stichworten jedenfalls faßt es Bernard Pozier zusammen.
15 Dichter werden uns mit Kurzbiografien und immer einer Handvoll Gedichten präsentiert und manches – ich sagte es schon – ist nicht einfach nur ein wenig holprig, sondern ganz unglücklich übersetzt. Manches enthält tatsächlich Fehler, die dem Gedicht seine Pointe, seinen Charme oder seine Aussage rauben. Bspw. in Yolande Villemarie’s Gedicht „Jeunne femme rouge“, dort lauten die letzten drei Verse im Original : « je déclare qu’il est temps / j’écris un livre-machine / pour ouvrir notre réalité » und Fischer übersetzt es wie folgt : « ich sage, es ist Zeit / ich schreibe ein Maschinenbuch / um unsere Wirklichkeit zu öffnen » --- nach meiner Lesart ein bedeutender Mißgriff. Ich denke, daß uns Yolande Villemarie eher sagen wollte, daß nun die Zeit gekommen sei, eine Buch-Maschine zu „erschreiben“, mit der man unsere Wirklichkeit aufschließen kann. Wie immer das dann in einer Übertragung aussieht, da gibt es sicher andere Möglichkeiten, als die von Rüdiger Fischer gewählte.
Denise Boucher
beim Fahren
auf der Autobahn
kam mir der Gedanke
dir das zu schreiben
gleichviel
ob man Auto fährt
oder auf Skiern
den Berg hinab
ob man darin stapft
oder darauf tritt
oder dagegen angeht
wenn er plötzlich
vom Himmel
auf die Erde fällt
sanft oder stürmisch
mit uns umgeht
nichts gleicht mehr
der Liebe
als der Schnee
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