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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

kondensstreifen kaugummi kumulus

Hamburg

wo geht die heimreise eigentlich hin?
chamäleonaugen rotieren, eins im uhrzeigersinn, eins zurück. müde bin
                                                                                                                                           ich
.
der weg will zum meer.

Die Gedichte von Birgit Kreipe in Soma sind unruhig, werfen immer wieder Fragen auf, sprechen mit sich selbst, oder vereinen mehrere Stimmen in sich. Das Gedicht „an zwei bäume“ besteht beispielsweise zur Gänze aus Fragen, während „jüngeres ich mit federn / ERROR“ ein aneinander Vorbeireden und -fragen zwischen der Frau mit den Kuckuckshänden und der Gnade, einem alten bebrillten Mann, ist:

wo ist der zauberer, der wetter
machen konnte im sommer?

ist kalt geworden, antwortet die gnade.
und alle vögel?

Immer wieder tauchen Gedanken- und Gesprächsfetzen in den Gedichten auf, eingestreute Fragen, die einen wie aus dem Gedicht hinauskatapultieren: „vogelspuren vor wolken (und – ist das noch schilf?)“ Denn mit diesen unvermittelten Fragen stellen die Gedichte zugleich sich selbst in Frage und bewirken Verunsicherung, bleiben diese Fragen dann unbeantwortet im Raum stehen.

„wo kommt die orange lampe her?“ Der Gedichtband Soma von Birgit Kreipe enthält Sätze und Formulierungen, die sich einem richtiggehend in die Erinnerung einfräsen. Diese orange Lampe zum Beispiel, sie bleibt hängen, taucht wieder auf, später, unerwartet, wenn man zurückdenkt an die Gedichte. Und sie beschäftigt einen, man fragt sich unweigerlich, wo sie jetzt denn wirklich herkommt, diese orange Lampe. Was macht sie da, im Gedicht, im Gedichtband? Und wieso muss es ausgerechnet eine orange Lampe sein? Oder noch eine andere Stolperstelle im positiven Sinn: „der sommer // blau wie von carpaccio oder haribo“. Der Vergleich ist ebenso absurd, wie stark. Das stelle ich mir sofort als Gespräch vor, im Vorbeigehen mitgehört, das einen perplex zurücklässt, ob auch wirklich gesagt worden war, was man zu hören vermeinte: Wie war dein Sommer? – blau  wie von Carpaccio oder Haribo. Noch absurder wird diese Stelle, googelt man schnell einmal „Carpaccio“, um sich ein besseres Bild vom Blau des Malers machen zu können. Denn dann findet man zunächst erst einmal nur Rezepte für Carpaccio, das noch dazu alles andere als blau ist, handelt es sich dabei doch in der Regel um rohes rotes Rindfleisch.

Diese zwei Sätze, die orangene Lampe und den carpaccio-haribo-blauen Sommer habe ich deswegen aus dem Gedichtband herausgegraben,  weil ich mich gezielt auf die Suche nach Farben in den Gedichten begeben habe. Weil ich nach Farben tauchte, anderen Farben als Schwarz-Weiß: „risse, wo fische nach anderen farben tauchten“. Denn der Eindruck, den die Gedichte zunächst in meiner Erinnerung hinterlassen haben, war durchgehend Schwarz-Weiß. Ich fragte mich also: sind die Gedichte von Birgit Kreipe wirklich farblos, „durchsichtig – oder aus glas?“ Träumen ihre Gedichte in Schwarz-Weiß? Oder sind es vielmehr die Themenwahl, es geht um Trauma und Verdrängung, und die einprägsame Schwarz-Weiß Buchgestaltung, welche die Gedichte in Schwarz-Weiß erscheinen lassen? Zu meiner größten Überraschung wurde ich dann bei meinem Farbentauchgang sehr schnell, bereits in der ersten Strophe, ja sogar schon in der ersten Zeile des ersten Gedichtes farbfündig:

hier, wo die blauen luftschiffe aufsteigen
wie soda, war mein acker. unter dem grün
das feld, wo wir licht anbauten
in den jahren des zusammenhalts.

Die Farben in den Gedichten von Birgit Kreipe wirken aber irgendwie fremd, sind Risse, Wunden, oder Fremdkörper. Von außen kommend, aus dem All, ist ganz besonders die Farbe Orange: „langschwänzig vögel, orange kometen“, „orange galaxie“. Vermutlich wirkt die Frage, wo die orange Lampe herkommt, deswegen auch so einprägsam. Die Farbe Rot wiederum lässt an mögliche Wunden denken: „die pochende rote stelle“, oder an Blut:

sind das sehstörungen? rote fische?
oder das wasser selber träumt, es wär blut.

Und auch in Bezug auf die Farbe Rot lässt sich eine Verknüpfung mit Ferne, dem All, ausgehend von Tieren, beobachten. Diesmal sind keine Vögel Kometen, sondern bilden Ameisen einen Stern: „einen stern roter ameisen“. Und an einer anderen Stelle finden sich „drei rote monde am knie“.

Blau und Grün sehe ich in den Gedichten in einer Nähe zu Erinnerung: „die blauen luftschiffe“, „versank im grünen“, „alles, was ich erinnere, ist blau, blau“, „gesträubtes blau“, „herunterstürzendes grün“.

Das Schwarz in den Gedichten ist nicht nur schwarz, sondern sehr schwarz, lässt keine Alternativen offen: „zunge, lakritzschwarz“, „dann flieht auch sie // vor noch schwärzerem wind“, „im schwarzen geäst der totenbäume“, „schwarzes vieh mit schwarzen hörnern“. Während Weiß die zentrale Farbe des Gedichtbandes ist, sozusagen die Schlüsselfarbe, denn André Green wird im Gedichtband zu „weißer (blande) Psychose“ und „weißer Trauer“ zitiert, Fachbegriffe aus der Psychologie im Zusammenhang mit Verdrängung. Keine andere Farbe als Weiß, wenn Weiß denn eine Farbe ist, wird in den Gedichten von Birgit Kreipe so genau differenziert: „milchweißes wasser“, „papierweiße hänge“, „neuschnee-weiß“, „und darunter ein knochenweißer tempel“. Und Weiß kann auch die Grenzen zu anderen Farben überschreiten, diese Grenzen aufheben: „winterfell, grauweiß“, „grünweißes strömen“, „blauweißes strömen“. Zwischen Schwarz und Weiß schieben sich dann noch zwei Farben, Grau: „graue pfirsiche“ und Silber: „silberne spangen halten das mondlicht fest“.

Daher möchte ich mich korrigieren: Nein, es handelt sich dabei keineswegs um farblose Gedichte. Sie wirken farblich betrachtet nach langem Nachsinnen wie alte Schwarz-Weiß-Postkarten, welche nachträglich mit der Hand in nur wenigen Farben koloriert wurden, wodurch diese umso mehr hervorstechen. Handkolorierte Schwarz-Weiß-Postkarten sind farbig, aber nicht bunt. Genau das sind auch die Gedichte von Birgit Kreipe.

Mein erster Eindruck des Gedichtbandes war jedoch ein ganz anderer, fand ich die Farben in den Gedichten doch erst nach und nach. Zu Beginn schienen mir die Gedichte von Birgit Kreipe ebenso düster und dunkel, wie die schwarzen Trennblätter zwischen den Kapiteln:

meine kleine mondsüchtige, deine depressive
erstickt noch an ihren düsterkuchen.
hat nichts zu lachen.

Die Durchgängigkeit, mit der die Gedichte in dieser bedrohlich depressiven Stimmung schwelgen, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Wenn man darüber hinwegsieht, und sie weiter- bzw. wiederliest, zeigt sich aber schnell, dass es auch für sich genommen sehr ernst zu nehmende Gedichte sind, unabhängig von ihrer Stimmung und Thematik. Es sind nämlich überaus vielschichtige Gedichte. Der Gedichtband lässt sich auch als eine Abhandlung über psychologische Theorien lesen. Denn Birgit Kreipe führt in ihren Gedichten aus und vor, wie Mechanismen der Verdrängung funktionieren. Sie greift Metaphern aus der Psychoanalyse für die Verdrängung auf und denkt sie weiter. Traum, Trauma, Erinnerung, Verdrängung, darum geht es in den Gedichten. Deutlich gemacht wird das, wenn André Green zu „Urverdrängung“ und „psychischen Löchern“ zitiert wird, oder auch Sigmund Freud, der Verdrängung mit einer Verschüttung wie in Pompeij erklärt und der die Aufgabe des Psychologen als die eines Archäologen beschreibt.

Die Gedichte von Birgit Kreipe wenden ihren Blick immer wieder dem zu, wovor er sich für gewöhnlich eher abwendet: „unter den füßen // sandwürmer, schlamm.“ Dabei übt Verfall eine große Faszination aus: „boote verrotten, aufgebockt.“ Ebenso, wie Vergänglichkeit: „der sommer war aus papier und vergilbte // in einem blauen umschlag.“ Und es überwiegt eine gewisse Endzeitstimmung: „lauter es-ist-vorbei-straßen // durch den wind, worte strömen herein“

In vielen Gedichten werden Verletzungen thematisiert: „schau, wie es blitzt, schau, sie ritzt sich // die arme auf!“ Wobei es sich zumeist um lang zurück liegende Wunden handelt. Ein ganzes Kapitel wendet sich beispielsweise verdrängten aber in der Erinnerung doch wiederkehrenden Kindheitstraumata zu:

schizophrenie flüstert: alte fraktur …
im jahr 7 zerriss das ich, dieser lichtnerv.
fetzen dieser zeit wehen noch
ein flashback, fett wie ein elefant
trampelt durchs schilf, brüllt –

Und auch zwischenmenschliche Schwierigkeiten werden, übertragen in eine metaphorische Traumlandschaft, in Gedichtform veranschaulicht und analysiert:

wären die alpen doch wolken geblieben!
kinderspiel. weit weg.

als wir aufbrachen, dachten wir: nebelbänke
die der wind langsam verschiebt. doch einige wolken

bewegten sich nicht. […]

jetzt können wir nicht mehr zurück. zwischen uns
falten sich abstürze, höhen auf, immer von neuem

wären die alpen doch wolken geblieben.
schwundstufe von träumen, kinderspiel. weit weg.

Häufig schreibt Birgit Kreipe mehrteilige Gedichte. Unterteilt ist der Gedichtband in einzelne Kapitel, welche, wie bereits festgestellt, von schwarzen Trennblättern unterteilt werden, auf denen in weißer Schrift die Kapitelüberschrift, sowie in mehreren Fällen Zitate zu lesen sind. Aber „Kapitel“ trifft es vermutlich nicht ganz, sind es doch eher kleine Gedichtzyklen, die formal und inhaltlich sehr stark in sich geschlossen sind. Einige dieser Kapitel umfassen nur zwei bis drei Gedichte. Zeilen- und Strophenanzahl variieren, manche Kapitel ziehen eine Form streng durch, andere brechen sie auf, besonders heterogen wäre dabei der Abschnitt „über die alpen“. Dieser Teil beginnt mit einem zweiteiligen Gedicht mit jeweils zweizeiligen Strophen. Dann folgen Gedichte mit dreizeiligen Strophen, Gedichte im Prosablock, bis hin zu zwei gedrehten Gedichten, für die man auch das Buch (oder den Kopf) drehen muss, möchte man sie lesen. Diesem Aufbrechen der Form innerhalb eines Kapitels, wohingegen vorhergehende Kapitel sich gerade durch formale Einheitlichkeit hervorgehoben haben, entspricht auch ein inhaltliches Aufbrechen in diesem Kapitel. Es geht darin um eine zwischenmenschliche Beziehung bzw. Trennung, um Reisen, Erinnerungen und selbst die Grenzen zwischen den Zeiten scheinen durchlässig zu werden. Denn Raum, Zeit und Erinnerung sind übereinander geschichtet, ineinander verzahnt.

Und auch im Ganzen ist der Gedichtband Soma von Birgit Kreipe sehr durchkomponiert, was sich gut an kleinen Details aufzeigen lässt. Während gegen Anfang des Buches beispielsweise das Meer noch Dinge anschwemmt und Botschaften zurücklässt:

das meer stapelt farben, tafeln, verschwimmt
weicht weiter zurück. hinterlässt botschaften

...zieht es im letzten Gedicht des Bandes seine tieferen Wasserschichten vom Ufer zurück. Die Richtung hat sich nunmehr gedreht, wie bei Ebbe und Flut. Nun werden die Worte und Gedichtzeilen nicht mehr an Land gespült, reihen sich nicht mehr wie Hutmuscheln aneinander, sondern es wird zurückgenommen, die Fußspuren führen ins Meer, laufen gegen die Brandung an und verschwinden damit, sind nicht länger lesbar:

tiefere wasserschichten
die das meer vom ufer zurückzieht

darauf herunterstürzendes grün, muschelsplitter
dann weicher sand, der es den füßen leicht macht
gegen die brandung zu laufen.

 

Birgit Kreipe
SOMA
gestaltet von Andreas Töpfer
kookbooks
2016 · 80 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
9783937445816

Fixpoetry 2016
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