Die Sprache der Fotografie
„Mich interessiert der Rand der Welt, nicht die Mitte. Das Nichtaustauschbare ist für mich von Belang.“ Dieses Zitat der Fotografin Sibylle Bergemann illustriert auch die Herangehensweise mit der Boris Friedewald 55 Fotografinnen aus zwei Jahrhunderten für seinen Bildband „Meisterinnen des Lichts“ ausgesucht und porträtiert hat.
In der Einführung zu seinem wunderbaren Fotoband zitiert Friedewald Lisette Model, die zu ihren Schülerinnen gesagt haben soll: „Fotografiere niemals irgendetwas, was dir gleichgültig ist, sondern nur, was dich leidenschaftlich interessiert.“
Nach dieser Devise scheint auch Friedewald selbst vorzugehen, der als freiberuflicher Kunsthistoriker, Dramaturg, Autor und Dozent für Kunst- und Theatergeschichte in Berlin lebt.
„Das Werk von Frauen, die fotografieren ist so einzigartig wie ihr Lebensweg – und ihre Blicke“, schreibt Friedewald und seine Porträts beweisen, dass er genau diese Haltung einnimmt, wenn er über Frauen schreibt, die nicht viel mehr als ihre Leidenschaft für die Fotografie verbindet. Folgerichtig schreibt Friedewald: „Von Vielfalt und Unterschiedlichkeit will dieses Buch erzählen.“
Die Geschichten der Porträtierten sind so unterschiedlich wie ihre Fotografien. Da gibt es Lebensläufe die beinahe ohne Umweg auf ein früh definiertes Ziel zulaufen, aber es gibt auch immer wieder Geschichten mit Brüchen, wie die von Lillian Bassman, von der Friedewald berichtet, sie habe das Interesse an der Fotografie in den späten 60er Jahren so nachhaltig verloren, dass sie ihre Negative in Säcke gestopft zum Müll stellte. „15 Jahre später klingelte eine Nachbarin mit den Säcken an Bassmans Tür – sie hatte sie gerettet und aufbewahrt.“ Und damit Bassmans Interesse an Mode und Fotografie neu entfacht.
Für seine Porträts orientiert sich Friedewald häufig an einem zentralen Motiv, von dem aus er die Biografie der vorgestellten Frau entwickelt. Bei Margaret Bourke- White wählt er zum Beispiel die Furchtlosigkeit, die er dann freilich mit dem Grauen der Buchenwald Aufnahmen kontrastiert. Dabei diente Bourke-White die Kamera als „Vorhang vor dem Herzen“, weil sie, „damit etwas wie eine Schranke zwischen sich und das Entsetzen schob.“ Bei Claude Cahun besteht das zentrale Motiv in ihrer lebenslänglichen Weigerung, sich auf ein Geschlecht festlegen zu lassen.
„Meine Ansicht über die Homosexualität und die Homosexuellen ist genau die gleiche wie meine Meinung über die Heterosexualität und die Heterosexuellen. Alles hängt vom Individuum und den Umständen ab.“
Oder, um nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen, Nan Goldin, die sehr intime Bilder gemacht hat, was vermutlich durch ihre Haltung möglich wurde: „Ich fotografiere niemanden, der nicht fotografiert werden will. In dem Moment, in dem ich die Bilder mache, besteht zwischen mir und der Person auf dem Foto eine Komplizenschaft, eine Kollaboration.“
Seinen besonderen Reiz bezieht das Buch aus der klugen Anordnung von lebendigen einfühlsamen Porträts, exemplarischen Fotos und Zitaten der Künstlerinnen.
Friedewald fängt in seinen Porträts den Moment ein, der die Frauen zur Fotografie geführt hat. Das kann purer Zufall gewesen sein, oder tragische Wendungen im Leben, die eine Neuorientierung erforderlich machten.
Persönlich und professionell, einordnend, ohne einzuengen, verschaffen Friedewalds Porträts einen guten Eindruck der vorgestellten Fotografinnen und erzählen gleichzeitig ein Stück Zeitgeschichte, indem, speziell durch die ausgewählten Bilder, die Wechselbeziehungen zwischen einer persönlichen Lebensgeschichte und den gesellschaftlichen Bedingungen einer bestimmten Zeit erahnbar werden.
Allerdings hat Friedewald sein Buch nicht zeitgeschichtlich angeordnet, sondern ist bei der Vorstellung der Fotografinnen alphabetisch vorgegangen, was den Charakter als Nachschlagwerk unterstreicht.
Chronologisch würde das Buch mit der faszinierenden Geschichte von Anna Atkins beginnen, der Frau, die für das erste Buch, dessen Illustrationen mit Hilfe einer fotografischen Technik, der Cynatopie, hergestellt waren, verantwortlich ist. Das war 1843.
Unter A wie Arnold beschreibt Friedewald deren „unerschöpfliche Neugier auf das Leben, verbunden mit einem ungewöhnlichen sozialen Interesse und Engagement, durch das sich großer Mut und Mitgefühl offenbarte.“ Eve Arnold selbst sagte bezüglich ihrer Motive: „Ich war arm und wollte die Armut dokumentieren; ich hatte ein Kind verloren und war besessen von Geburten; ich interessierte mich für Politik und wollte ihren Einfluss auf unser Leben erforschen; ich war eine Frau und wollte alles über Frauen wissen.“
Wenn vermutlich auch nicht alle Porträtierten Evelyn Hofers Überzeugung: „Im Grunde fotografieren wir Fotografen nur uns selbst in den anderen – und zwar immer“ zustimmen würden, zeigen die Fotos und Porträts doch die umfassende Gültigkeit dieses Satzes. Graciela Iturbide übersetzt ihn für sich folgendermaßen: „Was man sieht, ist eine Synthese aus der eigenen Persönlichkeit und dem mit der Zeit Gelernten. Genau das würde ich die Sprache der Fotografie nennen.“
Wenn ich Friedewald zum Abschluss noch einmal Sibylle Bergemann zitieren lasse: „Wenn ich zu einem Thema hundert Bilder mache, von denen das mit der größten Wahrheit unscharf ist, biete ich eben das Unscharfe an“, könnte man geneigt sein, diese Haltung auch in seinen Porträts zu suchen. Aber keines davon ist unscharf, vielmehr zeichnen sie mit wenigen Zeilen und ausgewählten Bildern faszinierende Frauen. Nicht zuletzt, weil Friedewald perfekt die Balance zwischen Schärfe und Unschärfe auslotet, die die Wahrheit ausmacht.
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