Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Wie Strandgut, von hier nach dort

Britta Schröders Debüt
Hamburg

Selbstgewissheit. Wo beginne ich und wo höre ich auf? Was sind meine Schwächen, die Punkte, an denen es weh tut, wer bin ich und wohin will ich? „Was früher Zweifel war, ist jetzt Gewissheit. Und nun gehe ich die Strecke dazwischen ab.“ Britta Schröder schreibt eine Erzählung über das Suchen und über das Versuchen, „selbst eine Form zu finden“. Irgendetwas ist hier passiert und man weiß nicht genau, was. Die Ich-Erzählerin beginnt eine Reise ohne Ziel, wie zuweilen die Autorin Sätze beginnt und nicht beendet, wie sie ihre Leser im Unklaren lässt.

Britta Schröder wurde 1971 in Ratingen geboren und hat Kunstgeschichte, Archäologie und italienische Literatur studiert. Sie arbeitet als Lektorin für Kunstbuchverlage und lebt in Frankfurt am Main. „Zwölfender“ ist ihr erstes Buch, das beim Frankfurter Verlag weissbooks veröffentlicht wurde und sicher nur aus verkaufstechnischen Gründen Roman getauft wurde. Novelle trifft es besser. Eine souverän geschriebene und im positiven Sinne verwirrende, in die man regelrecht hineingesogen wird. Und das umso mehr, als die Ich-Erzählerin davongespült wird in einen undefinierbaren, beklemmenden Zustand. Etwas ist da passiert. Offensichtlich etwas Traumatisches.

Zuerst ist da jemand, der gegen Wände schlägt und gegen Türen, die verschlossen bleiben. Die Hände schmerzen, „nachts hält mich ein gleichmäßiges Pochen vom Davondriften ab.“ In der nächsten Szene schiebt die Erzählerin ein Messer in ihren Vater. „In seinem Blick war nichts.“ Man ahnt, dass im Verhältnis zwischen Vater und Tochter des Rätsels Lösung steckt. Was genau zwischen den beiden vorgefallen ist, wird nicht erzählt. Anstelle von Reflexion erfolgt nun die Flucht oder besser einige Fluchten, eine erste Reise nach Cocoa Beach in Florida, aber nur kurz. Schon bald geht es zurück nach Frankfurt, dann ein erneuter Aufbruch nach Santiago de Chile. „Ich hatte einen Plan – oder zumindest eine Hoffnung.“ Auf dieser Reise lernt die Erzählerin verschiedene Personen kennen, die an Bedeutung gewinnen, den Anthropologen Robert, die Haushälterin Rosa oder den merkwürdigen Merce. Und immer wieder Aufbrüche, vom „untersten Grund des Nachdenkens“ heraus in eine rastlose Bewegung. „Auf dem Weg zur Busstation zog ich mein Herz an einer fransigen Schnur über den Bürgersteig.“

Ein dreidimensionales Bild ergibt sich eher nicht. Figuren, Orte und selbst die Handlungen erscheinen eher blass, wie alte Fotos. Das ist in diesem Fall gut. Dadurch rückt der merkwürdige Zustand der Ich-Erzählerin nur noch mehr in den Vordergrund, diese „nervöse Wachheit“. Wie Strandgut treibt eine Person von da nach dort, blinzelt einmal in die Sonne und legt sich wieder hin. Was passiert hier eigentlich? „Ich schloss die Augen und sah unseren Gedanken dabei zu, wie sie auf derselben Kreisbahn Rollschuh liefen. Schnell, zunächst. Nach ein paar Runden entschleunigten sie sich und fuhren auseinander. Ich verließ die Bahn und fiel in eine Schlucht aus grobkantigen Steinen und weiten Tönen. Jazz oder so. Ich träumte.“

Von Stränden und Städten anderer Länder springen wir ab und an in eine Parallelgeschichte, die in einem Wald angesiedelt ist. Die Ich-Erzählerin schläft dort auf flachem Stein, erhält Besuch von einem Luchs, baut sich ein Zelt aus Ästen und Farn. In dieses Zelt kehrt sie jedoch immer seltener zurück. „Ich weiß nicht mehr, wovor es mich beschützen soll.“ Am Ende scheint es aus dieser Welt keine Rückkehr mehr zu geben. In der letzten Szene wird von einem Kleiderschrank aus eine Lichtung betreten, die Türen dahinter schließen sich. Wieder wird gegen Holz geschlagen, „bis ich begriff, dass ich nicht mehr zurückwollte.“ Mit dem letzten Wort des Buches wird ein Ende ausgesprochen, das einen Anfang bedeutet, einen ersten Schritt. „Nun.“

Wie sprachlich präzise diese Autorin einen ungewissen Zustand beschreibt, der nicht nur die Suche hin zu einem neuen Leben darstellt, sondern ein regelrechtes Delirium, darin liegt die Stärke dieses Buches. „An diesem Abend betranken wir uns, als wäre jedes Glas ein Tritt gegen die Salontür zur Freiheit. Sie schwang auf und fiel wieder zu, schwang auf und fiel zu, schwang auf und fiel zu.“

Britta Schröder
Zwölfender
Weissbooks
2013 · 156 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-86337-018-3

Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge