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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Das wiederentdeckte Ich

Hamburg

Ich weiß noch wie einer meiner Germanistikdozenten vor ein paar Jahren den Zustand der deutschsprachigen Gegenwartslyrik beklagte. „Die jungen Dichter“, meinte er, „schreiben doch nur noch Germanistenlyrik. Sehr gelehrt, reich an Anspielungen, Zitaten und Assoziationen, ohne Herz und Seele.“ Welche Autoren der Dozent damit meinte, sagte er nicht. Allerdings ließ er keinen Zweifel daran, dass er durchaus weiß, was die so genannten Independent Verlage veröffentlichen.

Seither musste ich bei so manchem Gedichtband an diese Worte denken. Nie aber kamen sie mir so schnell in den Sinn wie bei der Lektüre des neuen Gedichtbandes von Carl-Christian Elze. Und das nicht etwa, weil Elzes neuen Texten Herz und Seele fehlen. Ganz im Gegenteil. Sie vereinen vielmehr einen stilsicheren Umgang mit sprachlichen Variationen und einen gefühlvollen Ausdruck, der in der deutschsprachigen Lyrik sehr selten geworden ist. Schon allein deshalb ist ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist ein mutiges Buch. Der Gegenwind von so manchem Lyrikkollegen dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Vielleicht provoziert ihn Elze auch ein wenig, bedenkt man das Robert-Walser-Zitat, das dem Band voranstellt ist. In einem Gespräch mit Carl Seelig sagte Walser: „Finden Sie nicht auch, dass die jetzigen Lyriker zu malerisch empfinden? Sie haben geradezu Angst, ihre Gefühle zu zeigen. Da suchen sie denn als Ersatz nach originellen Bildern. Aber machen Bilder das Wesen eines guten Gedichtes aus? Gibt nicht erst die Empfindung jedem Gedicht seinen Herzschlag?“

Ob dieses Zitat Ansporn oder Rechtfertigung für Carl-Christian Elze war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Es ist wohl eine Mischung aus beidem. Auf jeden Fall aber ist es ein Motto, das über allen Gedichten von was albern ist schwebt. Denn wie bereits angedeutet: an Gefühlen mangelt es diesem Band nicht. Und das sind vor allem Melancholie, Wut, Trotz und natürlich Liebe. Transportiert werden sie von einem überaus präsenten „Ich“, das man aufgrund seiner authentischen Stimme nah an das Autoren-Ich heranrücken möchte.

„ich mag den regen, wenn ich still im bett lieg, gern allein. / dann weiß ich, wenn ich mich beweg, hör ich ihn schlechter. / drum lieg ich still. so still ich kann. als sei ich tot.“ Der relativ prosanahe Duktus dieser Verse ist typisch für Elzes Gedichte und lässt sie eine betörende Klarheit wahren. Eine gewisse Zerbrechlichkeit, die vielleicht sogar Raum für Angriffe bietet, nimmt der Autor dabei in Kauf. Deutlich wird das vor allem in den Liebesgedichten des Bandes, in denen Elze, gemessen an dem, was man heute so Liebesgedicht nennt, recht hoch pokert. „warum verhält sich mein herz wie ein idiot? / weil es ein idiot ist, mein herz, von grund auf. / die idiotie meines herzens ist ein osterwunder.“ Es ist das klassisch-poetische Thema vom Zweikampf zwischen Gefühl und Verstand, das Elze mehrfach aufgreift und es schafft in zeitgenössische Bilder zu verpacken. Ein bisweilen ironisches Spiel mit Anachronismen.

Und immer wieder glaubt man auch den einen oder anderen Seitenhieb auf so manche  Kollegen zu finden.

dass wir alle zusammen knüpfen

an einem g r o ß e n  l e u c h t e n d e n teppich –
wie soll ich das glauben! ihr habt herzen in der brust
doch bitte wo sind die muster eurer herzen im stoff?
wo ist eure anbetung, eure kindliche lust? wo euer mitleid
mit allem, was stirbt? & wo eure unzerstörbare freundschaft
mit bäumen & hunden & wiesen? & wo eure unüberbietbare angst
alles zu verlieren, was ihr seht & hört & schmeckt & riecht
& was ihr selbst glaubt zu sein? obwohl ihr nichts seid im ewigen kreis
ich hab solche angst, obwohl ich nichts bin im ewigen kreis –

Ob Elze damit die „rätselverliebten Jung-Poeten“ meint, wie sie Matthias Ehlers (WDR) in seiner Besprechung von was albern ist bezeichnet, „die allenfalls noch von der eigenen Freundin verstanden werden - wenn überhaupt“, bleibt offen. Sicher scheint es aber, dass Elze mit seinen neuen Gedichten den Wunsch nach einer Dichtung formuliert, die immer noch mehr an Inhalten bietet als bloße Sprachreflexion, Spielerei und Gelehrsamkeit. Eine Dichtung, die nicht allein im Kopf entsteht und vor allem ehrlich zu sich selbst ist. Ein Wunsch, mit dem er sicher nicht allein dasteht und den er mit seinem neuen Gedichtband ein stückweit erfüllt hat.

Carl-Christian Elze
Ich lebe in einem Wasserturm am Meer, was albern ist
Luxbooks
2012 · 120 Seiten · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-939557-69-2

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