Ein Haus gedanklich einrichten
'Möglichkeitssinn', sagt der Klappentext und erinnert mich spontan an Leibniz' Begriff von Wirklichkeit. Diese komme zustande, nachdem (auf Planungsebene) unendlich viele mögliche Welten projektiert, aber aufgrund von Mängeln wieder verworfen werden und Realisierung am Ende nur 'die beste aller möglichen Welten' erfahre. Wirklichkeit als die Spitze des Eisbergs ihrer Möglichkeiten. Logisch-formal ist die Welt also nicht nur real-existierend, sondern auch möglich-existierend. Dieser Gedanke bedeutet Frischluft, etwas dem Hier-und-Jetzt voraus Liegendes, es Überholendes und Konterkarierendes oder nur stockend Mitfließendes – sprachlich unter anderem gelöst mit der Erfindung von Konjunktiv oder Hilfsverben wie kann und soll. Der enganliegende Gurt des Hier-und-Jetzt wird – wenigstens gedanklich, sprachlich, formal – gelockert und der tautologische Zwirn (das Eins-zu-Eins dessen, was ist was es ist) gekappt und durch neue, potentielle Ösen gefädelt.
Carola Gruber, soeben zur Stadtschreiberin von Ranis gewählt, thematisiert in ihrem Erzähldebüt Alles an seinem Platz die Möglichkeit(en) des Erzählens. In einer Reihe von Kurztexten erprobt sie die volle Bandbreite für sie potentiell infrage kommender Geschichten. (Nur die Mengenangabe im Untertitel ist unscharf, strenggenommen sind es 64, der letzte führt die 65 Titel auf und der vorletzte beschreibt eine Schneeflocke: schriftloses Weiß.) In einem Interview nennt die Autorin diese Geschichten eine Serie von Literaturwitzen, es seien Texte, die sich […] selbst verarschen bzw. Schreibspiele, in denen es darum gehe, seine Schreibphantasie auszuloten. Meine Lektüre ist angesichts des 'Möglichkeitssinns' eine nicht halb so eindeutig urteilende.
Sprachlich ist Alles an seinem Platz von angenehmer Schlichtheit, überwiegend gearbeitet in Form subjektloser indikativischer Aussagesätze, deren vorläufiger Charakter Konzept ist. Sie könnten dem Arbeits- oder Notizbuch der Autorin entstammen. Es sind Aufzeichnungen über lediglich in Ansätzen erkennbare Plots, die noch zu entwickeln wären, Vorstufen eines späterhin auszuschreibenden Ganzen. Es sind Selbstermunterungen, Selbstvergewisserungen einer Autorin, die nicht mit etwas schubladengerecht Geschlossenem die Bühne der Literatur betritt, sondern mit Hinweisen darauf; einer Art Prolegomena, Vorwort oder Entwurf, Notat, Zettelwüste.
Um dem Chaos zu entgehen, wartet sie mit gleich drei Ordnungsprinzipien auf: Sie betitelt die Texte nicht nur, sondern nummeriert sie auch und verzahnt sie überdies mit Querverweisen. Die Verklammerung durch Stichworte (vor und zurück) suggeriert eine inhaltliche Kohärenz, die es eher lose gibt. Als Ausgangspunkt lässt sich der Ort ausmachen, an dem Text entsteht: Einen Raum wählen […] und aufschreiben, was da ist. Alles an seinem Platz festhalten und erklären, wie es dorthin gekommen ist […], heißt es im Titelstück (Nr. 12). Carola Gruber befasst sich mit den Dingen ihrer Umgebung, spielt sie als Material durch und prüft aus wechselnden Blickwinkeln deren Erzählbarkeit. Damit einher geht das Kreisen um den Aspekt der Form des zu Erzählenden. In Bezug auf das Erinnern (einem weiteren Materialsegment) heißt es: Die gesamte Welt reproduzieren (Nr. 3). In diesem Anspruch scheint lediglich die Möglichkeit auf – programmgemäß geht nichts davon auf die Haben-Seite des Kontos über.
Aber spült nicht gerade diese Möglichkeitsdrift solcher Art Konten endgültig leer und zeigt, was Literatur zu können imstande ist?
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