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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

… „schwärzer als Rabenschwingen um Mitternacht”: Poe, neu übertragen

Hamburg

Edgar Allan Poe – heute ein Klassiker, damals eine Verstörung. Vor allem im puritanischen Amerika, das ihm mit einer damnatio memoriae antwortete, ihn marginalisierte, nachdem der Autor skandalisiert worden war. Erst auf einem Umweg fand Poe Leser, kein Einzelschicksal, auch beispielsweise Büchners Werk fand sozusagen auf dem Umweg über „Halb-Asien” wieder an die Öffentlichkeit, wieder entdeckt von Karl Emil Franzos, der ihn edierte. Im Falle Poes war es Charles Baudelaire, der kurz vor Poes Tod auf dessen Texte stieß, neugierig wurde, recherchierte – und Texte fand, wie sie seines Erachtens die waren, nach denen die Zeit eigentlich suchte; oder jedenfalls er. Und nicht irgendwie, was als „verworrene und formlose Vorstellung” sich kaum antizipierte, war nun da, in „vollkommene(r) Gestalt”. Baudelaire las, übersetzte, edierte – und begann so wie auch in seinem eigenen Werk die Moderne zu (er-)finden.

Auf dieser historischen Edition basierend legt nun Andreas Nohl seine Übertragungen Poes vor; und soll man auch Poe unbedingt im Original lesen, so doch nicht nur im Original, jedenfalls, wenn eine Übersetzung so klar, so präzise und so klingend ist, nicht Poe überflügelt – wie dies auch? –, aber in anderen Worten so bemerkenswert fast das sagt, was Poe sagte, daß die Lektüre zum Abenteuer wird.

Man kann also nochmals Poe lesen, nochmals das Vibrierende, wie Unlogisches Sprache werdend logisch wird, oder die Logik unlogisch, alles verstörend, aber alles in einer Sprache, die nirgends hieraus entläßt. Und nie bedarf es einer Beschwörung in den Evidenzen, die sich zu einer Parakausalität des Stils verdichtet. Weshalb Nohl gut daran tut, jenen sehr stilisierten Ausdruck zu bewahren, den Poe hat und von dem Adorno darum sagt, hierin seien Poe und Baudelaire „als Artisten die ersten Technokraten der Kunst”, während nämlich aus einem einfachen Satz etwas sich entspinnt:

„Der Mensch unterwirft sich den Engeln oder dem Tod nicht zur Gänze, es sei denn aus Schwäche eines siechen Willens.”

Für wen wird dieser Satz gelten? – Für Ligeia, für den, der sie in der gleichnamigen Erzählung verdrängen will und nicht kann? Ist es eine fast vampirische Inkarnation Ligeais in ihrer Nachfolgerin, was folgt, ist es Wunschdenken – was ist es? Lawrence schlug dazu dies vor:

„Poe calls his things ›tales‹. They are a concatenation of cause and effect. His best pieces, however, are not tales. They are more. They are ghastly stories of the human soul in its disruptive throes. Moreover, they are ›love‹ stories. Ligeia and The Fall of the House of Usher are really love stories.”

Also Liebe? Aber beantwortet das, was geschehen ist, und zwar auch die subjektive Schuld der Wiederverheiratung? Was ist das Unheimliche dieser Liebe und der Unbestimmtheit dennoch dessen, was – fiebrig kolportiert („Ligeia! A mental-derived name”, so nochmals Lawrence) – geschehen sei? Kann, soll man es erklären?

Rätsel um Rätsel, im Falle Ligeias sogar um die Herkunft, der Ich-Erzähler glaubt nur zu wissen, wo er sie kennenlernte (!): „I believe that I met her first and most frequently in some large, old, decaying city near the Rhine”, bei Nohl eine „verfallende[n] Stadt”, schwierig, die konnotierte Verwesung oder Fäulnis im Bild der Stadt zu erhalten, in dieser nekrophil anhebenden Verfallenheit – wäre sterbende Stadt eine Option..?

Rätsel jedenfalls; und Irritation um Provokation, „romantische Logik” im Schrecknis, Schreckliches im Schönen, das Neue, das zum „bloß Bösen […] durch die totalitäre Zurichtung” erst wird, wie – nochmals – Adorno zu Poe bemerkt, einer Zurichtung, die aber in allem lauert, alles Neue wird etwas zeitigen, das man ihm nicht ansieht, eine Welt der Schrecknisse, wieder, gegen alle Versicherungen der Moderne, die manches Schrecknis erst gebiert.

Sie spürt, wenn sie das Schrecklichste aufspürt, oft sich auf, in Manuskripten, in kryptographisch Verschlüsseltem, das sie enträtselt*, am Ende werden zwar die „Leerstellen” weniger, aber der Grund bleibt unsichtbar oder „blacker than the raven wings of midnight”/„schwärzer als Rabenschwingen um Mitternacht”. Oder man sieht auf ihren und der Angst „Herzmuskel[n]”, wie Nohl im Nachwort sagt.

Fazit: Poe (wieder) Lesen..!

… PS: Auf Poes The Raven (mit Übersetzungsvergleichen!) im vierten Band freue ich mich schon jetzt.

*) Dies der einzige Einwand gegen Nohl: Warum er das Verschlüsselte im Original wiedergibt, erschließt sich mir nicht, es sei denn, man wollte sich die Mühe sparen…

Charles Baudelaire (Hg.)
Edgar Allan Poe | Unheimliche Geschichten
Neu übersetzt von Andreas Nohl
dtv
2017 · 28,00 Euro
ISBN:
978-3-423-28118-8

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