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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Groß ist die lange Leere danach

Dein Haar ist mein Nest.  Ein schönes Bild: auf Blicke zu verzichten, sich mit einem kleinen Vogel zu vergleichen, nur noch Gemeinsamkeit und Geborgenheit zu spüren."Ich lasse offen, ob es Beobachtungen sind oder Metaphern für psychische Vorgänge.", sagt Charlotte Ueckert. "Material für die Gedichte ist das, was ich sehe und wie es sich sprachlich fassen läßt. Dann assoziiere, rhythmisiere, variiere, paradoxiere, zitiere oder parodiere ich im Wechsel zu dem, was sich in mir, wie bei einem Puzzle, als Ganzes herstellt." Es gibt - bewußt - schöne Sätze in diesem lesenswerten Gedichtband, die das innere Auge erfreuen und beleben und weiterdenken lassen.

Die Stunde taumelt von mittäglichem Wein
Auf Giottos Glockenturm zerbrochen

Nicht nur bei diesen beiden Zeilen wird bewusst, dass Dichtung mit „dicht“ zu tun hat.  Die Worte sind faszinierend und dicht gesetzt.  Das lyrische Ich ist von südlicher Mittagshitze umgeben, der Wein lässt  bloß Kognitives über Größen- und Machtverhältnis von  Glockenturm und Sonne weg.  Wenn wir uns auf diese Lyrik in gelassener Konzentration einlassen, bleiben die Bilder in unseren Sinnen.Immer wieder Italien, das die Dichterin mit der Seele  weiter sucht, auch wenn sie schon da ist

    Zu Tode geblüht die Agaven
     Schattenspendender Lorbeer
     Auf verlassenen Höfen

Das  Bewusstsein von der Vergeblichkeit  und der Endlosigkeit der Suche – wonach? - durchzieht diese Gedichte, oft mit  Imperativen, die wie  von  Ingeborg Bachmann anmuten:

Schüttele dich nicht ohne Warnung
    Wasche dich nicht zu oft, wechsele
    Die Wäsche nur auf mein Geheiß

Charlotte Ueckert spricht von Wellen als der „Fußspur des Windes“,  von dem „zärtlichen Mörder Zeit“, von Tauben, die uns anfliegen: „eine Verwechslung mit den Bronzen“, sie spricht von der Welt als „Hohlraum ohne Entkommen“ und immer wieder von Liebe:

Seit ich
Auf Brücken und Wachtürmen dich traf
Bin ich auf fallenden Sternen
Zu Hause

Ikonen kommen mir in den Sinn: Die schönen Madonnen halten ihr  Kind zwar zärtlich im Arm, aber sehen an ihm vorbei in die Ferne der Zeit. In der orthodoxen Kirche weiß man diesen Blick durch das spätere Leiden zu deuten.

Das lyrische Ich Charlotte Ueckert hält die Liebe zärtlich im Arm und denkt an der Gegenwart vorbei in die verheißungslose Zukunft.  Die liebe-vollen Details des Augenblicks – sie sind nicht  das Wirkliche – wirklich ist, dass aus der Gegenwart nur irgendeine  Zukunft erwächst.
Die dichterische Kunstform der Bagatelle - die  Bezauberung des Augenblicks – stellt die Dichterin neben die resignativ-statuarische Vision.  So ist es eben mit der Liebe. Der Augenblick ist hübsch, nicht groß. Groß ist die lange Leere danach. Charlotte Ueckerts Liebes-Augenblicke aber springen durch ihre erstaunlichen Wortbilder zu  uns herüber.

Charlotte Ueckert
Dein Haar ist mein Nest
FIXPOETRY Verlag, vergriffen
2011 · 38 Seiten · 8,90 Euro
ISBN:
978-3-942890014

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