Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Prägnante Bilderflut

Im Stralsunder mückenschwein Verlag hat die Münchner Autorin Christel Steigenberger (43) ihren ersten Gedichtband „Stadtrandstrass“ vorgelegt. Eine Lyrik, die speziell von einer transparenten Bildhaftigkeit lebt und in rasch wechselnden Momentaufnahmen ihre Dynamik entfaltet.

Auf diese Weise führt das erste Gedicht „Straßenstrass“ in eine recht trostlose Sonntagsszenerie, die mit einem offenen Fluchtimpuls endet: „Dieser Totenkopfglitzer am / Nachmittag Tortenheben als / Übersprungshandlung im eigenen / Hinterkopf blättern während / Die ersten Sonnenstrahlen des Tages / Gegen 15:03 Uhr den hellen Schwanz einer / Gemeinen Stadttaube vor Abziehen / Der Wolken beleuchten (...) In dieser labilen Wetterlage / Zieht es dich.“ Steigenberger macht es ihren Lesern leicht, sich in den Bildern zu verorten.

Das wohl eindringlichste Gedicht des Bandes ist trotz (oder gerade wegen) des formal-distanzierten gesetzessprachlichen Tons „§ 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“. In klaren, appellativen Aussagesätzen navigiert der Text durch ein Spannungsfeld, in dem die Gefahr und die Sicherheit gefährdeter Kinder mit dem Fokus auf die Ängste und Grenzen eines potenziellen Helfers aufgezeigt werden. Ein Thema, das bei der langjährigen Sozialarbeiterin Christel Steigenberger nicht verwundert. Das Gedicht orientiert sich an dem Original-Paragraphen 8a. Der klärt, unter welchen Umständen Sozialarbeiter Informationen über das Kindeswohl ans Jugendamt weiterleiten muss.

„Eine Gefahr abwenden müssen. Sicherheit herstellen / und/oder gewährleisten müssen. / Sich vornehmen, / eine Gefahr abzuwenden und Sicherheit herzustellen / und/oder zu gewährleisten. (...) Bei bestehender Gefahr geeignete Maßnahmen / einleiten und begleiten. Der Gefahr begegnen. // Sich der Angst aussetzen, eine Gefahr nicht abwenden / und Sicherheit nicht herstellen und/oder gewährleisten / zu können. Die Angst vor dem Versagen abwenden / müssen. Sich vornehmen, die Angst vor dem Versagen / abzuwenden. Die Zielvorgabe, die Angst vor dem / Versagen abzuwenden, annehmen. (...) Der Angst begegnen. // Sich der Gefahr aussetzen, die Angst nicht abwenden / zu können. Dem Schmerz begegnen.“

Die fest stehenden, allgemein gefassten Formulierungen gesetzlicher Vorgaben, in denen die subjektive Perspektive des Helfers naturgemäß nicht berücksichtigt wird, bilden einen reizvollen Kontrast zum subjektiven Empfinden des Helfenden und dessen Auseinandersetzung mit den eigenen Versagensängsten. Gleichsam im Gesetzeston artikuliert, spürt die fast mantraartige Selbstansprache des Helfers dem inneren Konflikt mit beeindruckender Intensität nach und kommt zu dem unausweichlichen Schluss, dem Schmerz begegnen zu müssen.

Christel Steigenbergers Gedichte zeichnen sich aus durch prägnante Bilder, die in einem überlegten Tonfall atmosphärische Dichte erzeugen und eher Fragen aufwerfen als Antworten geben zu wollen. „Stadtrandstrass“ ist der zweite Band der recht neuen Lyrikreihe des mückenschwein Verlages, die von der Stralsunder Lyrikerin Silke Peters herausgegeben wird. Er folgt auf den 2009 veröffentlichten Band „Seerettungsamt“ von Ines Baumgartl.

Christel Steigenberger
Stadtrandstrass
Illustration: Rosa Linke
Mückenschwein
2010 · 24 Seiten · 7,00 Euro
ISBN:
978-3-93631167X

Fixpoetry 2010
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge