Treffende Texte aus dem Knirschen der Gegend
Nietzsche und Novalis sind hier geboren, Halle und Magdeburg sind die regionalen Zentren – die Rede ist von Sachsen Anhalt. Der Lyriker André Schinkel hat in einem Aufsatz kürzlich interessante Feststellungen über die Entwicklung des dortigen literarischen Lebens getroffen, wo sich „etwas Unscheinbares auf erstaunliche Art und Weise entwickelt: die Zahl der aktiven Autoren hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, junge Autoren werden überregional zunehmend wahrgenommen, Institutionen arbeiten Hand in Hand. Eine eigene Literaturszene ist entstanden, die von Schönheit und Verlorenheit erzählt.“ Man hat Literaturpreise installiert, z.B. das Walter Bauer-Stipendium oder den Georg Kaiser-Förderpreis, die gerade den jungen Autoren helfen sich zu behaupten und auch bundesweit Achtung zu erzielen. In der Vergangenheit Daniela Danz bspw., auch André Schinkel, und dieses Jahr sind es Thomas Rackwitz und Christian Kreis. Eine seltsame Stimmung glimmt im Lande – wie immer, wenn das Leben ins Offene zielt, erzeugt es mit der Abkehr und dem Abschied neben dem Wehmut auch eine nervöse Lust auf und Raum für neue mögliche Umarmungen. Das Zer-Brechen wird zum Auf-Brechen, zu einem kreativen Akt. André Schinkel schreibt: „Die eigentümliche Überlappung von Aufbruch und Verfall fordert heraus, das Knirschen der Zusammenhänge zeitigt in den Ballungsräumen der Region eine schreiberische Reibefläche.“
In Halle lebte er längere Zeit, hat dort Soziologie und Politikwissenschaft studiert, Christian Kreis, der dieser Szene zuzurechnen ist. Seine Lyrik ist genauso zündend. Man spürt förmlich wie hier – mit ganz herkömmlichen Mitteln übrigens – etwas überraschend Neues entsteht. Man könnte es eine gute Schärfe nennen, nicht im Sinne eines Gewürzes, sondern der Brennweite. Man kann es auch mit einem unverbrauchten, ironischen Blick auf die eigene Unvollkommenheit kennzeichnen. „Das lyrische Ich lernt über den eigenen Tellerand hinaus.“ hat einmal Lutz Hagestedt in einem Aufsatz über Robert Gernhardt gesagt. Humor wächst ja aus einer besonderen Form von Distanz zum Eigenen, nur wer sich selbst nicht allzu wichtig nimmt (oder eben wichtig genug, um auch von sich abzusehen), kann demaskieren und dabei geistvoll sein. Wahrheiten sind ja sehr viel zuträglicher, wenn sie mit einer gewissen Komik präsentiert werden. Manche überhaupt nur so erträglich. Robert Gernhardt ist ein Name, der einem in diesem Zusammenhang in der Lyrik einfällt, Ernst Jandl, wenn es um das Formal-Humorvolle und Spielerische geht, und vor beiden noch Peter Rühmkorf. Christian Kreis fasst das selbst zusammen: „beim Schreiben ist mir wichtig, das sich existentielle Dringlichkeit mit einer ironischen Distanz verbindet und daraus ein treffender Text wird“. Besser kann man es kaum charakterisieren.
Daß das alles so klappt, liegt daran, daß Christian Kreis ein richtig guter Dichter ist, der sich handwerklich sicher in seinem Wortraum bewegt, auch dort wo er umgangssprachlich draufhaut (und bspw. das vorgestrige Feuilleton zur „ausgelutschten Wortwichse“ wird). Im ersten Kapitel, in dem er uns arpsichtlich etwas vorjandlt, ist auch das Hoddis’sche Weltende auszumachen; da gibt es literaturgeschichtliche Persiflagen, wie sie unterhaltsamer selten geschrieben wurden in den letzten Jahren.
Aktuelles Plagiat
(nach van Hoddis und Lichtenstein)Aeroplane stürzen sich in Baue.
Die Himmelssocke hat ein großes Loch.
Der kleine Muck bekommt von soldiern Haue.
In Hessen hält sich lästig Roland Koch.Nach der Erwärmung steigt nun die besagte Flut
Und manche Menschen haben Vogelgrippe.
Dem blonden Dichter geht es selbst im Hartz nicht gut.
Gevatter Tod nimmt alles auf die Schippe.
Das ist bissig, farbig, anwesend. Die Kreis’sche Weltschau ist genau so. Auch in den kleinen ganz alltäglichen Dingen: hinschauen, enttarnen, beim Namen nennen – sich nichts vormachen. Sich nicht verstecken, auch einfach mal geil sein. Es tut gut, daß mit Christian Kreis ein Lyriker den Georg Kaiser-Förderpreis erhalten hat, der im Klartext die Möglichkeiten findet die Welt poetisch zu entlarven. Nachdem man heute gerne egologischen Konstrukten entlanghangelt, was ja auch Sinn macht im Erkunden von Raum, ist hier einer, der ungeschönt entblößt wie all diese Hangelstangen im Kopf Welt und Dasein mit Schönheit, skurilen Empfindungen oder Ekel überspannen. Das ist klare, geistreiche Lyrik mit Witz und Esprit, die nichts nötig hat außer den offenen Reibeflächen der Zeit, an denen sie zündet. Ein wunderbar moderner Gedichtband, dem ich viele Leser wünsche.
Fixpoetry 2009
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