auch terzinen haben keinen rückwärtsgang
Stromern, streunen und strawanzen sind schöne deutsche Verben, die oft für Tierverhalten gebraucht werden und für deren instinktive, manchmal bewunderte Selb- und Eigenständigkeit stehen, die dem Menschen als gesellschaftlichem Wesen nicht im gleichen Maß zugestanden wird. Es sind Worte, die zielloses Treiben in der Welt anklingen lassen, ein Hinaus-, ein Weggehen und nur vielleicht irgendwann wieder zurück nach Hause, ohne Ortsbindung ganz anders offen für alles, was uns begegnen mag, ohne Vorsatz voll Muße für das Erleben der Gegenwart, gleichzeitig getrieben von steter Unruhe, die dem Verweilen entgegensteht. Drei str-Wörter auch, die manche Zunge stolpern lassen, weil eine gewisse Zungenfertigkeit vonnöten ist, sie ohne Sprachunfall in die Welt zu setzen. Vielleicht ein Grund, weshalb in der Alltagssprache fürs menschliche, meist männliche Stromern oft weniger poetische Begriffe verwendet werden. „Herumtreiber“ etwa wird nie das Wort für Mamas oder Papas Liebling sein, auch „Vagant“ oder „Vagabund“ werden abwertend und synonym für „Nichtsnutz“, „Wegelagerer“, „Galgenstrick“, „Strolch“ oder „Lump“ gebraucht, wobei in diesen Benennungen Angst mitschwingt vor einem, der sich ganz anders als man selbst verhält, Angst vor Bedrohung des eigenen Wertekanons und, handfester, des eigenen Hab und Gutes. Man hat nicht viel am Hut mit jenen, denen als Außenseitern gern das Adjektiv „asozial“ umgehängt wird, das sie fortan vom „gut“ und „redlich“ des Bürgers trennt.
Christoph W. Bauer macht sich in seinem neuesten Gedichtband „stromern“ als Vagant auf den Weg, streift durch Stadt und Landschaften, durch Vergangenheit und Gegenwart, durch Tradition und Moderne, durch Überlieferung, Dichtung, Historie und Philosophie, und mischt alles mit eigener Anschauung. Dabei ist der Vagant, obschon sich selbst ausgeliefert, doch nie allein unterwegs, trägt seinen überaus reichen Vorrat an Wissen und Erfahrungen mit sich, der ihn nie beschwert, sondern wie Wölkchen umgibt und ihm jederzeit zur Verfügung steht, ja, er braucht nur zwei Finger ausstrecken, um im Reich seiner Dichter und Denker, das naturgemäß weit über das enge Deutsche hinausreicht, nach dem Passenden zu greifen und seinen Gedichten einzuverleiben.
Schon im ersten Gedicht wird der Bezugsrahmen abgesteckt:
sag an villon komm sprich mit mir
was tun wenn alle stricke reißen ich
häng im echo meiner worte kann
mich selbst schon nicht mehr hörenwas tief in meine kehle schneidet
ist ein lied aus herkunftszeichen ...
und wenig später heißt es im gleichen Gedicht: „im unterwegssein da ist zukunft...“. Francois Villon (1431-1463), vielleicht der bedeutendste Dichter des französischen Spätmittelalters, wird als Bruder im Geiste wahrgenommen, er ist der stille Begleiter mit dem Bauer im letzten Gedicht dieses Bandes „ach ja villon da wär noch was“ erneut in Dialog tritt. Es ist ein Fazit des klarsichtigen Pessimisten Bauer, der u.a. die vielen in der Welt befindlichen missglückten Gedichte betrachtet, auch das Misslingen der eigenen Zeilen, und konstatiert: „von dichtertreff zu dichtersuff / auch unsre zunft ändert sich nie“.
Antriebskraft der Dichtkunst ist der Drang zum Unterwegssein und dessen Zwilling, die Angst vor dem Stillstand. Bewegung bedeutet, am Leben zu sein, sich und die eigene Kreativität zu spüren und ist der Gegensatz zum gern strapazierten Stereotyp des stillen Kämmerleins, in dem Gedichte angeblich bestens gedeihen - nicht so bei Bauer, nichts davon in den Gedichten, die er hier vorlegt. Sein Wahlspruch scheint dem alten Sprichwort entlehnt: Sich regen bringt Segen. Der Dichter wandert in seiner Biographie, zunächst durch die Kindheitsanfänge in Kolbnitz/Collmiza, einem Ort in Oberkärnten, lässt seine Betrachtungen über Lienz/Osttirol, wo er einen Teil seiner Kindheit verbrachte, nach Kirchberg/Tirol treiben, das als „churchmountain“ zu Größe geadelt Eingang in ein Gedicht findet und ihm trotzdem immer „kaff“ bleibt. Und schließlich strawanzt der Lyriker weiter nach Innsbruck, wo er heute lebt. Von dort ging und geht es hinaus in die Welt oder das, was Bauer Welt ist, vor allem Paris, dem das dritte der vier Kapitel dieses Bandes gewidmet ist. Themen seiner Gedichte sind Heimat, fern jeder Idylle, und Fremde, immer wieder Liebe und Sehnsucht, doch nicht romantisch verklärt, sondern nüchtern, abgeklärt, öfter auch derb, Themen auch das pure Leben und die Wechselfälle des Daseins, mit der braunen Vergangenheit im Hintergrund, dem schwärenden Selbstbetrug. Bauer steht mit vielen dieser anspielungsreichen Gedichte in der Tradition der Bänkelsänger und der Troubadours, ich kann ihn mir gut als vazierenden Gesellen vorstellen, der seine Werke etwa auf einem Marktplatz zum besten gibt, ja, manche Gedichte könnten Lieder sein, laden geradezu zur Vertonung ein.
„es mühlen die klappern am bachenden rausch“ – so dichtet Bauer ein bekanntes Volkslied um, das als Kinderlied gern noch gesungen wird, obwohl in unseren Breiten keine Mühlen mehr klappern, sondern allenfalls als Erinnerungsstücke zu besichtigen sind. Die Müller sind längst schon abgewandert und das Gedicht stimmt einen Abgesang auf die Tourismusindustrie an mit ihrer „musealen manie“ und den idyllisierenden Werbebroschüren. Und plötzlich haben die ewiggestrigen Mühlen nichts Liebliches mehr, sie
klappern mit reißwölfischem gelächter
bei jedem refrain so verblöden einen die lieder
ist der verstand erst klipp klapp verscheucht
„ich bin so himmelhoch old fashioned“, lese ich in einem anderen Gedicht, begreife diese Zuschreibung als Auszeichnung für den Belesenen und lese Bauers Augenzwinkern gleich mit. Dazu passt die Bezugnahme auf Kollegen, von Ovid bis Brodsky, von Kästner zu Pound, Joyce und Canetti und weiter zu Vergil, Godot oder Seneca, große Namen, die er als Wegbegleiter aufruft, durch deren Buchlandschaften er lustvoll streift und in einem Gedicht auch ironisch kommentiert: „wieder bin ich bei den dichtern / aus dem poesieversifften schädel / gibt es kein entrinnen“.
Stilistisch sind die Gedichte heterogen. Bauer schöpft aus einem reichen Repertoire, stellt Gereimtes neben Ungereimtes, gliedert Gedichte in häufig drei- oder vierversige Strophen, andere wiederum bleiben ungegliedert und beides fügt sich handwerklich präzis in die Vielfalt der Bauerschen Dichtkunst. Seine Verse sind bildreich, oft poetisch verspielt. Konsequent ist seine Kleinschreibung und das Weglassen der Satzzeichen. Geradezu lustvoll wechselt der Lyriker die Stimmungs- und „Sound“lagen. Der Ton reicht von hoch bis kumpelhaft, ist manchmal ziemlich rau, dann wieder sanft, oft (selbst)ironisch, auch schelmisch, voll erfrischendem Humor und manchmal so richtig platt. Und immer wieder bleibt man beim Lesen an poetischen Sentenzen hängen, freut sich an Weisheiten im Gedicht.
Kleinmütig seien schließlich noch zwei Mängel angeführt: Leider fehlt ein Inhaltsverzeichnis, was das Wiederauffinden von Gedichten erschwert. Zweitens wäre ein Glossar nützlich, um Begriffe wie „archipoeta“, „daniel arnaut“ und einige andere nicht erst googeln zu müssen.
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