Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Behalte den Flug im Gedächtnis

Es war einmal ein kleiner Junge, der aufgrund der Krankheit seines Vaters in einem Lepradorf bei Tabriz (Iran) aufwuchs, bis eines Tages eine schillernde Gestalt in Form einer jungen Frau daherkam, den Jungen adoptierte und nach Teheran mitnahm. Die junge Frau starb wenige Jahre später, der Junge zog nach Deutschland und wurde Übersetzer und Dichter. Der kleine Junge, das ist Hossein Mansouri und die junge Frau die legendäre iranische Dichterin und Filmemacherin Forough Farrokhsad. Claus Strigel hat die Geschichte der beiden in seinem einfühlsamen Dokumentarfilm „Mond Sonne Blume Spiel“ portraitiert.

Forough war bereits damals eine Skandalfigur im Iran der frühen 60er Jahre. Ihre Gedichte, die die moderne persische Lyrik mitbegründeten, sprengten Konventionen und gesellschaftliche Tabus – eine Frau, die offen über Sexualität und Verlangen schrieb, über die Situation der Frau in einer zutiefst konservativen Gesellschaft, und das auch noch in einer überwältigend schönen Sprache, einer Sprache, die so schön war wie sie selbst. Der Filmemacher Ebrahim Golestan hatte sie unter seine Fittiche genommen und unterstützte ihre filmischen Ambitionen, schließlich produzierte er ihren preisgekrönten Film über eben jenes Lepradorf unter dem Titel „Das Haus ist schwarz“. Ein Film, der auch fünfzig Jahre später nichts von seiner enormen Kraft eingebüßt hat. Das Debütwerk eines Naturtalents.

Und mitten im Film, mitten im Lepradorf, ist dieser kleine Junge, den der Lehrer auffordert, vier schöne Dinge aufzuzählen, und mit verschmitztem Lächeln sagt er: „Mond, Sonne, Blume, Spiel“. Es wurde die Schlüsselszene – für den Film ebenso wie für das Leben des kleinen Hossein Mansouri und für seine spätere Adoptivmutter Forough Farrokhsad, die 1967 in Teheran bei einem Autounfall starb. Sie wurde nur 32 Jahre alt. Heute ist sie in Iran eine Ikone, die Inhalte ihrer Gedichte unter der Diktatur der Mullahs erschreckend aktuell.

„Behalte den Flug im Gedächtnis / Der Vogel ist sterblich“ – diese zwei Verse, die Hossein Mansouri rezitiert, sind in der Rückschau so voller Bedeutung für ihre Autorin, dass sie beinahe prophetisch wirken. Aber nicht nur diese. Über zehn Jahre vor dem iranischen Schicksalsjahr 1979 hatte sie in einem Gedicht beschrieben, wie die Strukturen der Gesellschaft zerbrechen, wie ein blutiger Umsturz alles verändert – aber eben nicht ins Positive. Sicher ist auch viel Verklärung dabei, wenn heute über Forough gesprochen wird, aber das lassen auch Mansouri und Golestan im Film anklingen – von der Nachwelt auf einen Sockel gestellt zu werden wäre wohl das letzte gewesen, was die junge Künstlerin gewollt hätte. Aber dass der Kult um ihre Person und ihre Arbeit den religiösen Hardlinern im heutigen Iran ein Dorn im Auge ist, befeuert ihren Status nur zusätzlich.

„Mond Sonne Blume Spiel“ ist vor allem eine sehr persönliche Spurensuche aus der Sicht Mansouris, und immer wieder wird klar: Diese fünf Jahre, die er als Kind mit Forough verbrachte, veränderten für ihn alles. Mansouri, der heute in München lebt, arbeitet an einem Buch über sie. Es wird längst nicht das erste sein, vielleicht aber das intimste. Ein Buch, auf das es sich zu warten lohnt, das steht außer Zweifel. „Mond, Sonne, Blume, Spiel“ kann auch als vorab erscheinendes Making-Of zu diesem Buch verstanden werden, dessen Weg steinig ist. Aber vor allem die besonders steinigen Wege wollen begangen werden.

Claus Strigel
Mond, Sonne, Blume, Spiel
Denkmal
2008 · 19,00 Euro

Fixpoetry 2011
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge