Kein Handbreit Wasser unterm Kiel
Clemens Meyer äußerte einmal selbst die Vermutung, dass viele seiner Geschichten nachts spielen, weil er sie vor allem nachts schreibt. Erst dann findet er die Ruhe und Konzentration, die er dafür braucht. Doch man kann das Ganze auch umgekehrt verstehen oder muss vielmehr von einer bewussten Entscheidung für die Dunkelheit ausgehen, denn so manche Meyer-Story ist bei Tageslicht schlicht unvorstellbar. So auch die Erzählung Rückkehr in die Nacht, die bereits im Spätsommer 2013, etwa zeitgleich mit seinem Epochenroman Im Stein erschien.
Es geht darin um einen namenlosen Ich-Erzähler, der in seine alte Stadt zurückkehrt, um den Tod einer Frau zu rächen. Das klingt sehr martialisch und auch ein bisschen nach Hollywood, beginnt jedoch so ruhig und konzentriert wie die Schreibnächte des Autors. Der Erzähler versteckt sich in einem aufgebockten Boot, das von seinem Besitzer Frank stolz als Yacht bezeichnet wird. Franks große Sehnsucht sind das Meer und die Schiffe, doch er brachte es „nur“ zum Automechaniker. Auf einer Industriebrache am Rande der Stadt sitzen die beiden unter Deck, bei Kerzenlicht und Dosenbier. Die intime und irgendwie verkapselt wirkende Anfangsszene wird zum Ausgangspunkt von Meyers erzählerischer Rekonstruktion, die den Leser erst langsam, dann mit steigendem Puls in ihren Bann zieht. Wenn man hier von einer Sogwirkung des Textes spricht, ist das vielleicht genauso wenig originell wie die Metapher des trockenliegenden Schiffs. Dennoch beschreiben beide Bilder den Text am besten, denn der verschlungene, alle Zeit- und Gedankenebenen überblendende Stil aus Bewusstseinsstrom und Cut-up verstärkt die Atmosphäre der Aussichtslosigkeit; hier lässt sich nichts mehr gerade biegen. Die Polizei ist dem Erzähler genauso auf den Fersen wie die Typen, die dich in dunklen Ecken abfangen, „wenn du auf dem Weg nach Hause bist“.
Es scheint mal wieder alles beim Alten zu sein in Clemens Meyers Erzählwelt. Es wird gesoffen, geraucht, gehurt, an Autos geschraubt und vielleicht auch an Frauen. Es werden krumme Dinger gedreht. Es wird gestorben. Und in einem Nebensatz trifft man sogar einen alten Bekannten wieder: Trinker Thilo, der bereits in Meyers gefeiertem Debutroman Als wir träumten seinen Auftritt hatte. Doch es irrt, wer glaubt dem Autor eine gewisse Stagnation unterstellen zu können. Vielmehr kristallisiert sich allmählich ein eigener Werkkosmos aus Meyers Texten heraus, den das Mainstreamfeuilleton wohl immer wieder als „Unterschichtenmilieu“ brandmarken wird, der in Wirklichkeit jedoch nichts anderes ist als ein Leben fernab von oberflächlichem Glamour und ererbtem Wohlstand. In diesen Kosmos dringt Meyer immer wieder aufs Neue und fördert Geschichten, Szenen und Bilder zu Tage [sic], die die angeblich so langweilige deutsche Gegenwartsliteratur enorm bereichern.
Bereichert wird Meyers Text wiederum von den Illustrationen Phillip Jantas. Der Absolvent der Hochschule für Grafik in Buchkunst setzte Rückkehr in die Nacht folgerichtig um. Seine verwischten Kohlezeichnungen zeigen eine diffuse Zwischenwelt zwischen Stadtrand und der kargen Weite der Felder und Eisenbahngleise und übersetzen die Atmosphäre der Worte souverän. All das macht Rückkehr durch die Nacht zu einem schönen Buch.
Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben