(Zeit zum Applaudieren lassen)
Der neue Lyrikband von Clemens Schittko ist dicht auf den letzten gefolgt: Ein ganz normales Buch ist Ende 2016 im Greifswalder Freiraum Verlag erschienen, im selben Jahr wie der zuvor im Grazer Ritter Verlag herausgekommene Weiter im Text. Beide folgten auf einige Jahre ohne Einzelband des Friedrichshainer Autoren. In dieser Zeit war Schittko jedoch wie kaum jemand sonst in nahezu allen unabhängigen Literaturzeitschriften präsent.
Schittkos Stil ist völlig unverwechselbar. So wie er schreibt eigentlich überhaupt niemand sonst. Ein typisches Schittko-Gedicht geht meistens seitenlang, fordert alle möglichen Dinge, benutzt gezielt Redundanzen und Wiederholungen, setzt einen einzigen einfachen Marschrhythmus ein (besonders live vom Autor vorgetragen druckvoll/ eindrucksvoll) und lässt den Leser mit Meinung zurück. Schittko polarisiert – entweder man mag das oder man lehnt es ab, jeweils wenig dazwischen. Was unabhängig davon anzuerkennen ist: die vehemente Konsequenz, mit der Schittko seine Schittkoismen formt. Vers auf Vers, Seite um Seite when the words go marching in, bewegt sich seine Lyrik zwischen Liste, Verfremdung, Fremdsprache, Sermon, Imitation, Pädagogik, Predigt, Manifest, Verfassung, Deklamation, Tirade, Monolog und Meinung beziehungsweise These. In Ein ganz normales Buch fehlt das Listenhafte, das noch in Weiter im Text sehr präsent war, wie dort beispielsweise bei dem nüchternen Wiedergeben eines Random-Facebook Protokolls Literaturtreibender, das zeigt, ohne etwas hinzuzufügen, dass der Lyrikbegriff nach wie vor als Konzepthaltung verstanden sein möchte und hier durch strophenartiges Arrangieren, eben beiläufig geäußerter Chat-Texte, ganz von allein in absurdes Bedeutungsterritorium getrieben werden kann. In ihrer Radikalität sind Schittkos Listen immer wie updates und Kontingenttausche zu verstehen auf Handkes damaliges Gedicht Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968, das als ready-made Strategie wie auch pop art Verfremdung weitreichenden Einfluss ausgeübt hat. Nun eben diese Listen fehlen in Schittkos neuem Band – schade – und sind stattdessen durch einige eher a-typische Kurzgedichte ersetzt (und der überraschend auftauchenden Poetik Statt eines Gedichts), die jeweils versuchen, in wenigen Versen auf den Punkt zu bringen, was eben sonst auf zehn oder mehr Seiten Versstößen zu Stande kommt. Der Sogwirkung der durch Wiederholung gebauten Lyrik Schittkos stehen sie wie kleine Auflockerungen gegenüber, doch solch wütende Gedichte wie Dumm, Some egonomics to share oder Wo bleibt die Revolution? brauchen die Länge und das Marschieren, um die genuine Originalität ihres Dichters herzustellen und auszuspielen.
Vornehmlich drehen sich fast alle Texte Schittkos um Politik und Angriff. Auf sowohl den Ist-Zustand der Gesellschaft in all seiner Ungerechtigkeit aber auch um den sogenannten literaturbetrieblichen Zustand, dem das lyrische Ich einen Giftspiegel vorhält. Doch auf der anderen Seite drehen sich die Texte längst nicht ausschließlich darum, sondern eigentlich geht es um den Tod, das Sterben und das Enden. Es verknüpft sich zwar das eine mit dem anderen, doch sitzt das Konzept Tod an einer anderen Stelle. Es kleidet den Inhalt wie ein Meta-Mantel. Über was auch immer Schittko spricht, – Außenseitertum, Alleinsein, Einsamkeit, Mut zum Kämpfen, Revolution etc. – es wirkt wie eine kleine Hysterie, ein eschatologisches Vorwort angesichts des unausweichlichen Endes, das allem bevorsteht. Schittko lässt das Lied vom Tod einfließen, durchblicken und als ständiges memento mori wachen. In Statt einer Widmung heißt es exemplarisch:
„Dieses Gedicht ist ein Gedicht,
weil ich es sage.
[…]
Ich schrieb es für Gerd Adloff
als Dank für sein Gedicht
Dieses Gedicht ist ein Gedicht,
das ich hiermit empfehle.
Auch ist es für meine Bücher, CDs und DVDs
und für den trockenen Rotwein,
der bei Lidl für 1,69 € erhältlich ist,
und nicht zuletzt für meinen Bruder
und für die, die noch Witze machen können,
obwohl sie sehen, was läuft.
Vor allem aber ist es für Luise,
für meine zwei, drei Freunde
und eben für Luise.
Und sagen will ich
Mit diesem Gedicht,
dass ich gern lebe
und nicht sterben will.“
Trotz der düsteren, verzweifelten Grundstimmung, die in verschiedenen Variationen auf den über 120 Seiten des Bandes auftaucht, arbeitet Schittko mit Ironie. Sie bringt ein Gegengewicht hinein, das aufbricht und ein Menschenlicht auf all die maschinelle Angriffslustigkeit von Ein ganz normales Buch wirft. In diesem Sinne ist ein Gedicht wie Generallyrik zur Situation in Lyrikdeutschland ein perfekter Wurf aus Konzept und Umsetzung. Über Seiten spannt sich eine fiktiv-imitierte Parlamentsrede auf, basierend auf der grenzalbernen Idee, das Wort LYRIK an jeder erdenklichen Stelle einzuschmuggeln. Mit der für ihn typischen Konsequenz dekliniert Schittko sämtliche Varianten und Situationen lückenlos durch. Es kommt zu verblüffenden Wendungen und Situationen:
„[…]
Von 2002 bis 2008 gab es in Lyrikdeutschland
keinerlei Lyriksteigerungen,
seit 2009 haben wir die erstaunliche Entwicklung,
dass Lyriker wieder mehr und höhere Bruttolyriken haben,
und, meine Damen und Herren,
wir hätten es gern erreicht,
dass noch in diesem Jahr es möglich gewesen wäre,
den Lyrikern auch mehr Lyriknetto vom Lyrikbrutto
in der Lyriktasche zu lassen,
indem wir die kalte Progressionslyrik bekämpfen.
Sie haben das verhindert,
obwohl der Lyrikbund
die meisten Lyrikausfälle übernommen hätte,
und das müssen Sie
den Fachlyrikern, den Lyrikmeistern und –ingenieuren
in Lyrikdeutschland erst einmal erklären.
(Längere Zeit zum Applaudieren lassen)
Meine Damen und Herren,
dies alles sind Erfolge der Lyrikerinnen und Lyriker,
der Lyriknehmer und der Unterlyriker,
aber es ist auch Folge
kluger politischer Lyrikstellung.
Und es geht am 22. September
um nicht mehr und nicht weniger
als um die Frage,
ob wir diesen Weg des Erfolges weitergehen
oder ob wir grobe Lyrikfehler sehen müssten,
die diese erfolgreiche Lyrikentwicklung
wieder zunichte machen.
[…]“
Ein ganz normales Buch ist für Schittko-Einsteiger vielleicht arg polarisierend, zumal das Ungekünstelte und klar Meinungsäußernde in vielen seiner Gedichte einen Vorrang beansprucht, doch das Thema der Provokation ist allerdings per se ein vielbenutzter Terminus des Autors selbst, sodass es eigentlich doch ein großartiger Einstieg ins Schittkoversum sein dürfte. Alle Nichteinsteiger finden auf jeden Fall einige herausragende neue Texte aus der nimmermüden Schmiede dieses außergewöhnlichen, originellen Autoren und es ist ein gutes Jahr gewesen, 2016, das es gleich zwei Einzelbände von ihm zur Veröffentlichung hat bringen können.
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Kommentare
1. FC Nürnberg
Die Manschaft in dem Handkegedicht hat der Autor aus dem Vorbericht des Fachmagazins "Kicker" abgeschrieben.
Abweichend zu der im Gedicht genannten Aufstellung spielte als linker Verteidiger Helmut Hilpert für Horst Leupold.
Ist es die Angst des Kritikers vor Handke, daß sie ihm das all die Jahre haben durchgehen lassen?
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