Das Herz ist ein Berg ist ein See
Das Herz gibt den Takt vor, der Puls zeichnet ihn nach. So verstanden ist der Puls ein Seismograph für unser Befinden, ein Morsecode für Gefühle. Auch die Gedichte Cornelia Schmerles sind codierte Abbilder von Gefühlszuständen. Außenwelt findet Eingang in die inneren Landschaften der Dichterin, die sprachlich gestaltet werden. Folgerichtig nennt Cornelia Schmerle ihr literarisches Debüt „In Pulsen.“ Der Band aus dem jungen Berliner Verlagshaus J. Frank enthält Gedichte, die kein Abbild der Realität sein wollen, sondern dichte sprachliche Kompositionen für schöpferische Prozesse im Leser zur Verfügung stellen.
Was bei der Lektüre der Texte vor allem auffällt, ist die Bildsprache. Die Gedichte sind reich an Metaphern, deren Sinn sich dem Leser durch rationale Analyse nicht erschließt, sondern intuitiv erfasst werden muss („Hier betet ein Traum um seine Richtigkeit“ – Unter Ulmen oder „Sieh, meine kleinen Opiate streuen Wolken über die Naht“ - Lotus). Den Kern vieler Gedichte bilden sinnlich aufgeladene Hauptwörter: Puppe, Trommeln, Katzen, Lippe, Licht, Jungfrau etc. Überhaupt spielt eine sinnliche Verwendung von Sprache für die Autorin eine große Rolle. („Im welken Licht – Das Tuscheln der Wände“ – Chronik/ „Wir zählen, was wir haben, Hand und Mund und Auge und Ohr und Haut, Haut auch“ – Wacht/ „du streust dem Sandmann dein Licht“ - Posen) In Cornelia Schmerles Gedichten wird angefasst, gesehen, gehört und gehandelt. Doch die Narration schafft keine im rationalen Sinne nachvollziehbare Handlung. Dazu wird das, was erzählt wird, zu sehr durch die Bildsprache der Autorin verfremdet. Konsequenterweise benennen oder kategorisieren die Überschriften nicht. Sie wirken eher wie ein zusätzlicher Vers, der dem Text einen neuen Aspekt hinzufügt. Dadurch wird der Resonanzraum der Gedichte vergrößert.
Die Sandfrau, drittens
Schon näher ist sie,
der Schleier kaum noch, das Gesicht
von keiner Röte heiß.Schon näher riecht sie
mich und was mich will beizeiten.Sprich es ins Telefon der Welt,
heb einen Kopf aus den Angeln, Geschlecht
pflück aus den Netzen.Das ist nichts Harmloses,
nichts, das vorüberginge, kein Fieber.Und Mord macht es nicht gut,
Liebling.
Sprachpuristen werden den Band nicht mögen. Zum einen erklärt sich die Wortwahl Cornelia Schmerles aufgrund der Komplexität der Bilder nicht immer („es sind die Seminare deines kühles Kopfes“ – Aufenthalte), zum anderen greift die Autorin manchmal zu expressionistisch anmutenden Wortneuschöpfungen, die nicht überzeugen („Brotige Stunden“ oder „aus der stativen plastik“). Auch die Metaphern sind nicht alle ästhetisch gelungen („trinkst du vom voll einer venus’ schen magensäure“ – parameta). Auffällig ist der Hang zu nominalisierten Adjektiven und Verben („mein Beistehen“, „das Pulsierende“, „die Rohe“).
Dennoch schreibt Cornelia Schmerle Gedichte, die lesenswert sind, weil sie dem Projekt der Dichtung in einem unverwechselbaren Stil neue Impulse verleihen. Sprache ist hier Sprachreiz statt Signifiant und Signifié, Dichtung eine Poesie, die ihre Möglichkeiten auslotet. Deshalb sieht man über gelegentliche Schwächen der Texte gern hinweg.
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