V – Daniela Danz sucht das Vaterland im Gedicht
Vielleicht steht neben dem Schreibtisch von Daniela Danz tatsächlich eine Ausgabe des großen Zedler`schen Universallexikons. Dass sie zumindest gern nach ihm greift, davon zeugen alle ihre Gedichtbände. Schon der erste, „Serimunt“, verdankte 2004 der Enzyklopädie die Erläuterung seines Titels: „Serimunt sey der Strich gewesen, zwischen der Saale und Mulde“. So poetisch verzaubert muten Länder und Landschaften bei Daniela Danz an, die selbst 1976 in Eisenach geboren und im nahen Wutha, mit Blick auf Wagners Hörselberg und die Wartburg aufgewachsen ist. Geschichte und Mythos sind die Anspielungsräume, durch die sie sich bewegt, ohne sich je in historische Bildungswelten zu flüchten. Dieser Versuchung widerstand sie auch in ihrem zweiten Band „Pontus“ (Zedler: „von den Deutschen das schwartze Meer gennenet“) sicher. Mit starker poetischer Kraft bannt sie in ihrem dritten Gedichtband die Gefahr des bloßen Ausstellens von kulturgeschichtlichem Wissen noch viel sicherer: „V“ wie ‚Vaterland‘ heißt der Band, der dicht gefügt ist und enzyklopädisch anhebt, das Phänomen zu erkunden, und der es doch nicht durch angestrengte Systematik erstickt. Poetisch, zugleich sehr zeitbewusst und politisch umkreist Daniela Danz die Begriffe. Was ist das also – das Vaterland? Zuallererst war es, so nochmals der Zedler, „derjenige Ort, woselbst jemand gebohren worden und das Licht der Welt erblicket hat“. Und was ist daraus geworden?
Das Eingangsgedicht gibt den Ton vor, in dem über dieses „Land von dem man sagt / dass alles hier aufhört und alles anfängt“ gesprochen wird. Im ruhelosen Traum ereignen sich die Erfahrungen mit der engeren Heimat als Heimsuchung: in leeren Dörfern, durch die das Bellen der Hunde hallt, in Düsternis und Kälte, aus denen Vorwürfe der Alten vernehmbar werden, denen sich das ‚Vaterland‘ dreimal geändert hat, die „dreimal aufhören“ mussten „und einmal den Anfang nicht finden“ konnten. Dann aber geht es zu den eigentlichen Anfängen in diesem Land: „principium“ ist ein wundersamer Zyklus von Prosagedichten überschrieben, der zu den Urgründen führt, in denen sich der Leser zunächst leicht verwirrt umsieht: Er führt in die Jungsteinzeit, in der Spuren gelegt werden, die wir Späteren finden sollen. Helden der Vorzeit kämpfen auf einem Hügel vor der Siedlung, eine Gemeinschaft setzt Pfähle um einen Kreis, findet sich, indem sie sich eine Opfer- und Kultstätte baut und einem Bienenorakel folgt. Indem sie sich einen Mythos schafft und ihn auf einer steinernen Stele zur überlieferten Geschichte gerinnen lässt. Mittelneolithisches Nationbuilding. Danz bereitet den Boden, im wahrsten Sinne, für das ‚Land‘, für das Vaterlandsdenken und die Grenzverschiebungen der kommenden Jahrtausende – und für die nun folgenden Gedichte.
Nach dem mythischen Beginnen stört das Motto des nächsten Teils „patria“ unversehens die Ur-Träumereien und klärt mit Lévi-Strauss auf, dass nichts „dem mythischen Denken mehr“ ähnelt „als die politische Ideologie“. Die Aufforderung an den Leser, Daniela Danz’ Gedichte politisch zu lesen, ist an dieser Stelle überdeutlich, vielleicht hätte es dieser Deutlichkeit gar nicht bedurft. Dass die dreibeinigen Hunde, die Füchse und Bienen des ersten Teils sodann statt mit mythischem und kultischem, mit politischem Symbolgehalt in den Gedichten wieder auftauchen, ist nur folgerichtig. Dabei wirken die zahlreichen Motivspiegelungen, die den Band zusammenhalten, selbst subtil und leicht. Das Bienenvolk orakelt nun nicht mehr und hat auch längst die „sentimentalen Staatenbienen“ hinter sich gelassen, sondern summt als staatenloses Söldnerheer in kriegerischer Gegenwart. Der Fuchs entkommt in Grenznähe den Tellereisen wie der Mensch den Selbstschussanlagen, und wird selbst zum Wappentier des schwierigen Vaterlandes. Zwischen den Zeiten, Gedichten und Gedichtbänden springt er hin und her – „Fuchs und Vaterland“ hieß schon ein Gedicht in „Pontus“.
Das Gedicht „Hier“ nähert sich nochmals dem Landstrich der Steinzeitmenschen, dieses Mal mit dem Zug, im Hier und Jetzt. Eine staubige Landschaft, in der die Züge nur halten, wenn sich einer auf die Gleise gelegt hat. Die Schädelverletzten, von denen der Eingangsmythos erzählt, wurden hier gefunden, in Eulau, Sachsen-Anhalt (so tatsächlich geschehen 2005). Reale Ortsnamen hier und in späteren Gedichten lassen die poetische Reflexion in heutiger Topografie und der politischen Landschaft unserer Tage greifbar werden: Erwähnung finden die Werra, wo sie in den früheren Todesstreifen fließt, Halle, Leuna, Merseburg. Das „Jagdhaus zur goldenen Füchsin“ in der Nähe von Eisenach, genauso Leißling und Weißenfels. Daniela Danz führt gegenwärtige Weltpolitik und Konflikte ein, ob NATO-Einsätze, Bankenkrise oder Flüchtlinge an der südlichen Außengrenze der EU, ohne dass es dabei je platt-parolemäßig zuginge. Virtuos auch, wie sie alte Formen aufgreift, ohne sie zu parodieren. Nur einmal prunkt die Ironie in Pindar`schen Oden, wenn Danz genialisch in die Rolle eines „embedded poet“ schlüpft, Berlusconi, Ahmadinedschad und Putin lyrische Kränze flicht und sie zu Karikaturen der Macht werden lässt:
Wenn mit den flinken Wasserbewohnern Wladimir
du an einsamen Flüssen kämpfst und deine brünierte
Brust uns im Äther flimmernd erscheint ist es an Dichtern
dass die Zunge sich löse in wohlgefügten Worten
der nie vergessenen Sprache zu preisen dein Glück
denn nicht nur die Fische bewegen sich flink
in ihrem angestammten Gebiet auch dir ist unstrittig
währende Herrschaft über das breitlagernde Land
Hinter dem vorführenden Gestus lauert hier ganz offensichtlich die Angst, die in den anderen Gedichten leise durchklingt, aber immer vernehmbar bleibt: Die Angst vor jedem ‚Vaterland‘ in seiner nationalistischen Verkehrung, dem ‚Vaterland’, das die an keinem Hof singende Poetin nicht mehr auszusprechen wagt. Die Angst auch, dass der privateste Raum nicht zu schützen ist, denn das ‚Land‘ dringt als Albtraum in die schlaflosen Nächte ein. Eine Atmosphäre der Angst und Beklemmung bestimmt auch den Abschnitt „exemplum“, in dem das vertraute Gefangenendilemma mit zwei auf- oder abrüstenden Ländern, die sich misstrauisch gegenüberstehen, durchgespielt wird. Im zweiten Anwendungsbeispiel evoziert das Klima von Verdacht, Verhör und Verrat das unerbittliche Vaterland in seiner autoritären Variante.
Die letzte Reihe von Gedichten steht unter dem Zwischentitel „cunabula“, die ‚Wiege’, der ‚Wohnsitz’ oder anders: Die Heimat. Eine innere Bewegung des Bandes kommt damit zu einem vorläufigen Abschluss. Die letzte der Anmerkungen erklärt lakonisch: „Vaterland, ursprünglich des Vaters Acker, war das kleine Geschwister der Heimat, als welche man einen ganzen Landstrich bezeichnete. Überformt vom lateinischen patria, hat dieses Verhältnis sich umgekehrt.“ Der Band vollzieht die Überformung nach und führt zugleich wieder zum Schoß des väterlichen Ackers zurück. Im Erinnerungsgedicht „Und am Anfang sind auch die Bilder“ steht dann der Großvater unter dem Apfelbaum. Die Gedichte pendeln so zwischen dem ‚Land’ und der ‚Idee’, den Vorstellungen, die es überlagern. Und sie pendeln zwischen Begriffen, die ideologisch beladen und überfrachtet sind, von denen diesen ideologischen Ballast abzuschütteln sich versuchsweise lohnen mag – auf dass eine freie Bewegung durch das ‚Land’ wieder möglich sei. Im letzten Gedicht, das nach einem fröhlich-sozialistisch getauften Stadtteil in Halle „Frohe Zukunft“ heißt, wird mit leichter Ironie, sich selbst nicht ganz trauend, das im fragend-skeptischen, indirekt-anspielungsreichen Kontext des Bandes geradezu verblüffend emphatische Bekenntnis geäußert: „und jetzt will ich den Staat loben / in dem ich den Ort zu leben wählen kann // die Landschaft steht offen wie ein Fenster / und ich winke hinaus um ein Zeichen zu geben“.
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Kommentare
Frohe Zukunft
Sehr sensible Besprechung. Nur eine Kleinigkeit: die "Frohe Zukunft" ist kein sozialistischer Taufname. Der Stadtteil Halles heißt nach einer alten Braunkohlegrube. Mit Grüßen aus der Frohen Zukunft ;) Simone
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